Hat die Gehorsamskeule ausgedient?

In Art. 3 seines Motu proprios Traditionis custodes sagt Franziskus: „In den Diözesen, in denen es bisher eine oder mehrere Gruppen gibt, die nach dem Missale vor der Reform von 1970 zelebrieren, hat der Bischof:
§ 1 sicherzustellen, dass diese Gruppen nicht die Gültigkeit und die Legitimität der Liturgiereform, der Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Lehramtes der Päpste ausschließen.“
Am 18. Dezember 2021 veröffentlichte die römische Gottesdienstkongregation die Ausführungsbestimmungen zum fünf Monate vorher erschienenen Motu proprio Traditionis custodes (16. Juli 2021). Sie haben die Form von Antworten auf gestellte Fragen (dubia) zu diesem Motu proprio. Zu Art. 3, §1 wurde folgende Frage vorgelegt: „Wenn ein Priester, der die Erlaubnis zur Verwendung des Missale Romanum von 1962 erhalten hat, nicht die Gültigkeit und Legitimität der Konzelebration [im NOM] anerkennt, insbesondere, wenn er sich weigert, bei der Chrisam-Messe zu konzelebrieren, kann er weiterhin diese Erlaubnis in Anspruch nehmen? Antwort: Nein.“
Danach verliert ein Priester, der die Erlaubnis erhalten hat, die überlieferte hl. Messe zu zelebrieren, sich aber weigert, den NOM zu konzelebrieren, diese Erlaubnis, wenn er sich von dem zuständigen Bischof nicht umstimmen lässt, denn es heißt in den Ausführungsbestimmungen:
„Bevor der Bischof jedoch die Erlaubnis zur Verwendung des Missale Romanum von 1962 widerruft, bietet er dem Priester die nötige Zeit für einen aufrichtigen Austausch über die tieferen Beweggründe an, die ihn dazu veranlassen, den Wert der Konzelebration nicht anzuerkennen, insbesondere in der Messe, der der Bischof vorsteht, und ihn einzuladen, in der beredten Geste der Konzelebration jene kirchliche Gemeinschaft zu leben, die eine notwendige Voraussetzung dafür ist, am Tisch des eucharistischen Opfers teilnehmen zu können.“

Wenn demnach dieser Austausch mit dem Bischof nicht dazu führt, dass dieser Priester seine Weigerung aufgibt, den NOM zu konzelebrieren, dann muss der Bischof ihm die Erlaubnis zur Zelebration der überlieferten hl. Messe entziehen. Falls er sie dann weiterhin feiert, befindet er sich im Ungehorsam gegenüber dem modernen Rom.
In diesem Fall nimmt das moderne Rom ihm die Möglichkeit, die Gehorsamskeule gegen die Priesterbruderschaft St. Pius X. zu schwingen, mit der er vielleicht in der Vergangenheit gegen sie polemisiert hat, denn er müsste diese Keule ja sonst auch gegen sich selbst schwingen.
Wie man sieht, handelt es sich um einen positiven Nebeneffekt der ansonsten skandalösen Ausführungsbestimmungen zu Traditionis custodes.
Eine entsprechende Bestimmung haben die Priester der Ecclesia Dei Gemeinschaften zu erwarten, die in der Vergangenheit häufig mit der Gehorsamskeule gegen die Priesterbruderschaft St. Pius X. polemisiert haben. Ihnen bleibt dann voraussichtlich auch nur die Alternative: Entweder Glaubenstreue zu bewahren und den Gehorsam gegenüber dem modernen Rom aufzugeben, oder an diesem falschen Gehorsam festzuhalten und sich im Elend des Biliturgismus einzurichten.
(s. auch meinen gestrigen Beitrag: "Werden die Ecclesia Dei Gemeinschaften zum Biliturgismus übergehen?")