Ein Woelkchen

Die Untersberger

Die Untersberger.

„So wären also die Erzählungen von den Männern und Frauen, die im Untersberg hausen, nicht erfunden?

Es lebte darin wirklich eine eigene Welt von Wesen?"

Von Menschen wie wir, entgegnete der Angeredete.

Was Anderes berichten denn alle Sagen als:
Es kam ein Fuhrmann mit Wein, ein Anderer mit Frucht des Weges daher und wie er um Mitternacht seine Rosse in der Nähe des Untersberg lenkte, sah er mit einem Male aus einer weit geöffneten Pforte hellen Lichtschimmer, ein Mann stand vor ihm, und befahl ihm, seine Ladung abzusetzen.
Erschrocken that der Kärner wie ihm befohlen ward, und alsobald kamen Zwerge - Diener, welche die ganze Ladung in unglaublich kurzer Zeit in die Berge trugen. „Dann verschwanden sie, sagte der verblüffte Fuhrmann, das Geld für die Waare lag in alter seltener Münze neben mir."

Was ist denn daran Wunderbares? Ein Dritter kam in das Innere des Berges selbst, das heißt, er kam in eine Höhle und da sah er Manches, was er da drinnen nicht vermuthet hatte.

Seine Einbildung vergrößerte, verschönerte oder verunstaltete die gesehenen Dinge und was er dann erzählte, ward im Munde des Volkes noch mehr verzerrt. Das Thal selbst aber, die eigentliche Heimat der Untersberger hat Niemand gesehen.

Das ist für Jeden, der nicht zu der unsichtbaren Gemeinde gehört, wie man sie auch häufig nennt, ein mit mehr als sieben Siegeln verschlossenes Geheimniß. Allen Nachforschungen zum Trotz hat Niemand den Eingang bis in das Thal selbst gefunden, wenn auch neugierige oder kühne Forscher weit genug vordrangen. Sie kamen immer nur in größere oder kleinere Höhlen oder Waldwiesen, die ringsher von himmelhohen Felsen eingeschlossen waren, und priesen sich glücklich, den Ausgang wieder zurück zu finden, das Wunderthal selbst hat Keiner geschaut. Daß aus demselben neue Ausgänge nach den verschiedenen Himmels - Richtungen gehen, ist allgemeiner Glaube, und in der That sah man bald da bald dort Leute, die nur aus dem Inneren des Untersberges konnten gekommen sein, und die wieder verschwanden, man wußte nicht wohin.

Auf diese Weise erscheinen oft zur Erntezeit draussen im Flachland Arbeiter aus dem Gebirge, ein rüstiges, fleissiges Gesinde, das mit seinem Erwerbe gegen den Herbst wieder von dannen zicht. Man weiß aber weder zuverlässig, woher sie kommen, noch wohin sie gehen. Haben sich nicht öfter unbekannte, schöne, junge Männer bei Festlichkeiten, Hochzeiten und Kirchweihen unter den fröhlichen Gästen als willkommene Gäste eingefunden, und die Zuneigung manches Mädchens gewonnen? Und Jeder der Gäste meinte, dieselben wären vom Wirthe geladen, dieser aber glaubte, sie wären mit Einem der bekannten und geladenen Gäste gekommen. Haben sie nicht meistens, wenn auch nicht immer, mit alten Münzen dem Wirth und den Spielleuten bezahlt? Haben dann nicht öfter der Eine und der Andere den Besuch wiederholt, das ihm lieb gewordene Mädchen in finsteren Nächten heimgesucht und es dann entführt, daß man nicht wußte, wohin es gekommen?

Und doch erhielten die Eltern oder Geschwister zuweilen sichere briefliche Nachricht, daß es ihnen wohl ergehe. Ja, einige Male geschah es sogar, daß die vermählte Tochter mit ihrem Gatten, wie auf der Reise begriffen, in finsteres Nacht im Hause der Eltern zusprach, einige Stunden sich des Wiedersehens erfreute, und dann ehe der Tag anbrach, wieder forteilte.

Wer weiß denn nicht, daß solchen Hofbesizern, von deren Kindern der Untersberger Eines heimgeholt hatte, in Noth und Gefahr unvermuthet Hülfe ward und noch wird?

Der Hof der Haldenauer, wie er noch jezt heißt, und der Niedernhof können gar nicht verderben, das ist die allgemein verbreitete Sage ringsumher. Warum nicht? Weil sie im besonderen Schutze des Untersbergers stehen, der das kommende Unglück abwehrt und das geschehene gut macht.

Der Untersberger lebt im Munde des Volkes hier im Gebirg und draußen im Flachlande. Er gilt bald als einzelne Person, bald als ein Völklein, das im Innern des Gebirges auf geheimnisvolle Weise haust, und unter einem Fürsten nach bestimmten Gesetzen lebt.
Der Untersberger zeigt sich bald da, bald dort, jezt als Helfer in höchster Gefahr, ein anderes Mal als Rächer verübter Frevelthat, als Rächer der beleidigten Menschheit, oft auch als Warner und Mahner. Wer möchte all die Thaten und Beweise anführen, die von seinem Dasein, von seinem unvermutheten Erscheinen und Einschreiten in wichtigen, entscheidenden Augenblicken Kunde geben!

Nur Einiges will ich davon erzählen, was mir glaub-würdige Leute selbst berichteten, die mittelbar oder unmittelbar mit ihm zusammentrafen.

In der Ebene dort gegen Bayern zu steht ein schöner Bauernhof, der von einem Hügel herab die Landschaft überschaut. Darin wirthschaftete gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts ein junges Ehepaar, das einander gar lieb hatte, und die Eltern der Bäuerin bereueten es nicht, ihre Tochter dem Manne gegeben zu haben, der ihr wohl gefiel, obgleich er nur wenig im Vermögen besaß. Und die Felder umher wurden trefflich bestellt, und wucherten unter den fleißigen Händen, und der Reichthum und die Zufriedenheit schauten aus allen Fenstern in das Land. Die Familie aber genoß des Segens selbst und gab Anderen davon, und der Name Treuhart wurde bald auch in der Stadt Salzburg bekannt, denn gar häufig rollte das Wägelchen mit der Familie von feurigen Rossen beflügelt an heiteren Sonntagen durch die Thore.

An einem solchen Tage traf Treuhart mit Wildschützen zusammen, deren abenteuerlichen Erzählungen er horchte. Wie sie dies merkten, luden sie ihn ein, nur einmal Theil zu nehmen an der köstlichen Jagd im Hochgebirg. Lange widerstand er der Lockung; aber da sie bei öfterem Zusammentreffen immer wieder in ihn drangen, willigte er endlich ein. Am bestimmten Tage verließ er gegen Anbruch der Nacht sein Haus, gelobte seiner Gattin, die ihn ungern scheiden sah, nur diese eine Nacht wolle er ferne sein, und sein Glück auch auf der Jagd versuchen.

Und er ging, schloß sich den seiner harrenden Gefährten an, und nun ging es bergauf, bergab, und Schuß folgte auf Schuß. Mit reicher Beute kehrte er zurück, das Wildbrät wurde von ihm selbst zubereitet und unter Lobsprüchen auf die freie Jagd verzehrt. Aber nun stellten sich die Genossen, die ihn als Einen der Ihrigen betrachteten, häufiger ein, zuweilen ließ er sie allein gehen, öfter aber folgte er ihrem neckenden Rufe, denn er wollte nicht als Unterthan seiner Gattin, sondern als Herr erscheinen. Allmählich wuchs die Leidenschaft, er blieb zwei, drei Nächte und Tage abwesend von seiner trauten Heimat, kehrte oft ohne Beute, und deshalb mißmuthig zurück, grollte dann mit seiner Gattin, die ihren Kummer nicht verhehlen konnte und wollte; mit Thränen sah sie ihn scheiden, und mit Thränen begrüßte sie ihn, wenn er nach langer Abwesenheit zurückkehrte. Selbst seiner beiden lieben Kinder achtete er kaum mehr. Ein böser Geist war in das ehmals glückliche Haus eingezogen und hatte den Frieden ausgetrieben. Mit ihm entwich der Reichthum wie Rauch, die Felder vermißten das Auge des Herrn, und das Gesinde zehrte nur vom alten Gut und mehrte es nicht. Bald wurde der Name Treuhart ein Spottname.

Da kam an einem Herbsttage ein Fremder und wollte den Hofbesizer sprechen, den er seit Langem nicht mehr in Salzburg getroffen hatte. Die junge Frau berichtete ihm einfach, sie wisse nicht, wann er heimkehre. In Liebe und Treue wollte sie verschweigen, was ihr Herz betrübte. Allein der Fremde wußte bald durch manche Fragen das Geheimniß zu enthüllen, das ohnedies in der ganzen Gegend kein Geheimniß mehr war Er tröstete sie und hieß sie gutes Muthes sein und die alte Liebe ihrem Manne bewahren, dessen Leidenschaft wohl noch durch ein Kräutlein zu heilen sei. Es werde sich vielleicht bald ein Arzt finden. Mit diesen Worten zog der Fremde von dannen.

Erst am folgenden Tage kehrte Treuhart von seiner vergeblichen Jagd zurück, und zeigte sich mürrischer, als je, während Kinder und Gattin ihn mit schüchterner Freude begrüßten. Er aß in Hast und trank und trank mehr, als er gewohnt war, nur um den Unmuth nieder zu trinken. Nach wenigen Tagen erschallte bei einbrechender Nacht der ihm wohl bekannte Ruf durch das Fenster; da raffte er sich schnell auf und eilte mit seiner Doppelflinte fort, ohne auf die Bitten seiner Gattin zu achten, und ohne ihr Lebewohl zu sagen. Fort ging es zur Jagd in Mitten der harrenden Genossen. Erst nach einer Weile bemerkte er, daß er unter lauter Unbekanten sei.

Dann verfloß Tag um Tag und Woche um Woche, er kehrte nicht zurück. Vergebens waren alle Nachforschungen. Seit jener Nacht hatte man ihn nirgends wieder gesehen. Die verlassene Gattin trauerte, und suchte mit ihren Eltern das Gut im Stande zu erhalten und zu heben, und widmete zugleich den beiden Kindern die innigste Sorgfalt, und sie trug mit treuer Liebe die Last, die ihr vom Himmel verhängt war. Wenn die Nacht kam und ihr Ruhe gewährte, dann flossen ihre Thränen um den Verlornen.

Mehr als ein Monat war verflossen, da sprach jener Fremde wieder zu, ließ sich erzählen, was geschehen war, und hieß die bekümmerte Frau wieder guten Muthes sein, ihr Mann werde wohl doch wiederkehren, vielleicht halte ihn nur der Untersberger zurück; er wolle ihr indessen einen Knecht schicken, der ihr das Hauswesen besorgen helfe.

Die Arme wußte nicht, was sie bei diesen Worten denken sollte; als er aber schied, regte sich die freudige Hoffnung des Wiedersehens in ihrer Brust. Wenige Tage danach kam der Mann, der sich als gesandter Oberknecht einführte und er leitete von diesem Augenblicke an die Wirthschaft mit treuer Umsicht, und bestellte das Feld und führte die Ordnung und den Fleiß unter dem Gesinde wieder ein, und im nächsten Frühjahr prangten Felder und Wiesen wie von des Himmels Segen beträuft und der Herbst füllte Scheunen und Haus.

Da trat der Oberknecht eines Morgens - es war gerade ein Jahr verflossen, seit dem Treuhart verschollen war vor die Frau und meldete der Erstaunten, seine Zeit sei um, und er müsse in seine Heimat zurückkehren, ohnehin bedürfe sie seiner Hülfe nicht mehr, denn der Herr des Hofes, ihr Gatte sei bereits auf dem Heimwege begriffen. Dies habe ihm heute Nacht Jemand gemeldet.
Möge der alte schöne Bund sich erneuen,
und Haus und Hof wieder blühen, wie ehmals.

Die Bäuerin war über diese Worte so freudig erschrocken, daß sie nichts zu erwidern wußte, und er geschieden war, ehe sie sich dessen noch besinnen konnte. Dann erhob sich ihr Herz in freudigbanger Erwartung, sie rief die Kinder herbei, und sagte mit thränenfreudigen Blicken: Der Vater wird kommen! Und sie schmückte ihre Lieben zum schönen Feste, und redete nur von ihm, der so lange entfernt. An sich dachte sie nicht, und aß nichts den ganzen Tag über.

Gegen Abend kam ein Mann querfeldein auf den Hof zugeschritten. Voll ängstlicher Erwartung harrte des Ankommenden, sobald sie ihn erblickte, die Mutter mit den Kindern unter der Thüre des Hauses. Mit dem Ausrufe: Er ist's! stürzte sie ihm entgegen, und hing an seinem Halse und weinte Freudenthränen. Und er herzte Weib und Kind, und grüßte die Schwiegereltern und in Fröhlichkeit schwand der Abend dahin.

Am anderen Tage erhob er sich früh und durchschritt mit spähenden Blicken das Haus und den Stall und ordnete Alles, wie er sonst gethan, und es war, als hätte er das Haus nie verlassen und wäre nie mit den wilden Genossen jagen gegangen. Bald verbreitete sich die Kunde von seiner Rückkehr, von seiner Heilung, und von der Aufnahme seines Gutes. Ehe ein Jahr verging, fuhr er wieder zur Stadt mit Weib und Kindern, und ein seliger Friede wahrte und mehrte daheim das Gut Niemals hatte man von ihm vernommen, wo er je es Jahr über gewesen. Das Gerücht erzählte mit schalkhaftem Lächeln:

er war in der Lehre und Buße bei dem Untersberger.

Niemals später nahm er wieder ein Gewehr zur Hand, und vergebens riefen und verhöhnten ihn seine ehemaligen Genossen. Er antwortete auf ihr Drängen nur stets: Ich habe gejagt genug.

Auch jetzt noch geschieht es zuweilen, daß hie und da ein Wildschütz auszieht, und nicht wieder zurückkehrt. Dann pflegt man zu sagen: Der Untersberger hat ihn abgeholt. Allein seit langer Zeit hat man nicht gehört, daß Einer der so Verschollenen wieder zu den Seinen zu rückgekommen sei. Das Volk glaubt und sagt, wenn in dunklen stürmischen Nächten die Windsbraut vom Gebirg her über die Ebene dahinsaust, und ein grauenvolles Geheul vieler Stimmen in den Lüften erschallt, davon dem späten Wanderer das Herz erstarrt und in den Gehöften umher schnell alles Licht ausgelöscht wird: Da kommt der Untersberger mit seinem Gefolge auf der wilden Jagd.

Wenn auf einem Hofe in der Nähe des Gebirges oder in einem Thale tief drinnen eine Hochzeit gefeiert wird, da erscheinen gewiß gegen Mitternacht auch ungeladene aber stets willkommene Gäste. Meistens sind es Jünglinge, in ihrer Mitte oft ein älterer Mann, höchst selten auch einige Jungfrauen mit ihnen. Sie grüßen die Versammelten, wie längst einander bekannte Nachbarn und Freunde, und Niemand wagt an sie auch nur die leiseste Frage: Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Sondern man spricht mit ihnen, wie mit den geladenen Gästen und keine Miene verräth den leisesten Argwohn. Doch sind die Fremden sogleich zu er kennen an der altväterischen, aber bequemen und kleidsamen Tracht. Und sie tummeln sich im Tanze, schwazen und scherzen mit den Versammelten und wissen sich in der kurzen Zeit von wenigen Stunden so beliebt zu machen, daß man sie ungern vor Tages Anbruch scheiden sieht. Gewöhnlich hinterlassen sie Geschenke in Stall oder Scheune, Geräthe oder Anderes, was man im Hauswesen gern hat, und doch selten sich anschafft. Höchst selten besteht das Geschenk in Geld, und wenn dies geschieht, so sind es alte, schwere Silbermünzen.

Da geschieht es denn zuweilen, daß der Eine der ungeladenen Gäste Wohlgefallen findet an seiner Tänzerin und sie an ihm. Dann erfolgt ein Stelldichein auf irgend ein Fest in der Nachbarschaft, gewöhnlich wird das Kirchweih fest als Zeitpunkt des Wiedersehens verabredet. Da erscheint dann der Jüngling wieder

im bunten Kreise,

nach ihm aber auch der Greis, welcher unvermerkt sein scharfes Auge auf das Mädchen richtet, mit demselben zu reden kommt, und es beginnt unter mancherlei Neckereien und Scherzreden, wie man dies bei einem Alten kaum erwarten sollte, eine Prüfung eigener Art, bis er über alle Verhältnisse des Mädchens, ihre Kenntnisse und Gemüthsart volle Gewißheit erlangt hat. Zuweilen soll er auch unter diesem oder jenem Vorwande in das Haus des Mädchens selbst gekommen sein, und sich dort an Ort und Stelle über Manches Auskunft verschafft haben. Ist das Mädchen in der Prüfung bestanden, dann kommt der Jüngling und wirbt offen um sie. Der Ausweis über seine Herkunft und sein Vermögen ist verbrieft und besiegelt, und es geschieht weiter keine Einsprache. Die Hochzeit wird gefeiert, um Mitternacht entführt der Bräutigam seine Braut nach alter Sitte -wohin?
Nach seinem Heimwesen, tief im Gebirge, heißt es.

Zuweilen und unvermuthet nach Jahr und Tag sprechen die Beiden wieder im elterlichen Hause zu, und sind selbst die lebendigen Zeugnisse ihres gesegneten häuslichen Lebens; oft bringen sie auch noch andere sprechende Zeugnisse mit. Nie geschah es, daß ein Mädchen aus dem Gebirge drinnen sich mit einem Manne in der Nähe vermählte; aber man will wissen, daß einige weit draußen am Rhein ihr Heimwesen gegründet haben, und dem Manne ihrer Wahl dahin gefolgt seien.

Auch Dieses noch vernehmet:

An der Gränze zwischen dem bayerischen und Salzburger Gebiete lebte vor etwa vierzig Jahren ein Zoleinnehmer von dem Wenigen, was dieses Amt ihm eintrug und von seiner Hände Arbeit. Er trieb die Weberei. Der Mann genoß im Kreise seiner Familie, eines wackeren Weibes und dreier Töchter, eines oft beneideten Wohlstandes. Er sang und webte den ganzen lieben langen Tag, und unterbrach Lied und Weben nur, wenn er den Schlagbaum öffnen und den Zollpfenning in Empfang nehmen mußte, was gar häufig geschah, und ihm gerade willkommen war, daß sein Rücken nicht steif und krumm wurde. Sein Glück aber war seine und seiner Familie Genügsamkeit die aus ihren Augen und aus allen Geräthschaften schaute und Alles mit einem goldenen Lichtschimmer umspielte.

Als seine Gattin starb, trauerte er zwar, wie billig um sie, führte aber mit seinen Töchtern das Hauswesen in der alten Weise fort, und da die Jungfrauen schön aufblüheten, fanden sich auch bald Freier ein, besonders da der Ruf von großem Reichthum meldete, den der Vater zur Aussteuer geben würde. Aber sonderbar! Ein Freier nach dem Andern kam und ging und kehrte nicht wieder. Der Vater hatte Jeden eine Woche lang beherbergt, ihn aber während dieser Zeit nicht als Freiwerber mit Leckerbissen bewirthet, wie dies so häufig geschieht, und wobei die Auserwählte ihre Kochkunst, wie in der Folge nicht wieder, auf das Glänzendste zu zeigen bemüht ist, sondern der Gast mußte ihm, je nachdem er eines Handwerkes kundig war, ein Meisterstück innerhalb dieser Zeit fertigen und dabei die Genügsamkeit und Geduld zu Gehülfinnen nehmen. Er wollte erproben, was sein Schwiegersohn etwa in Noth und Gefahr leisten könne. Da entwich denn Einer nach dem Andern schon nach wenigen Tagen, nicht Einer hielt eine Woche lang aus. Und der Weber lachte über die Weichlinge und sagte zu seinen Töchtern: „Gott behüte euch vor solchen Männern, denen ihr selbst das Brot gewinnen müßtet. Der Rechte kommt schon noch, habt nur Geduld." Und siehe, der Rechte kam endlich, obgleich das Haus, früher so sehr besucht und gerühmt, von jenen Flüchtlingen verleumdet worden.

Eines Tages kam des Weges zum Zollhäuschen daher ein gar armseliges Gespann. Ein einziges mageres Rößlein war dem Wagen vorgespannt, der mit Obst aus Italien schwer beladen war; ein alter Mann saß vorne auf dem Karren, und lenkte das Pferd, zwei rüstige Jünglinge schritten nebenher und schoben das Fuhrwerk den größten Theil des Weges. Am Zollhause hielten sie. Der Weber kam, hinter ihm zeigte sich ein Mädchen am Fenster, dann ein zweites, endlich auch die dritte Tochter, wie gerufen; aber nur auf einen Augenblick.
Schnell waren sie wieder verschwunden. Der Greis auf dem Karren hatte sie aber doch bemerkt, auch gewiß die beiden Jünglinge. Darauf wendete sich derselbe an den Weber mit den Worten: Es ist heiß, und ein Trunk frischen Wassers wäre mir jezt willkommen. Wollt ihr mir ihn wohl gewähren?

Der Weber rief in das Haus: Margareth! Bring Wasser und Brot. Das geschah. Der Greis betrachtete das Mädchen, während er das Dargebotene aus ihrer Hand empfing, mit forschenden Blicken, daß sie erröthend die Augen senkte und schnell sich wieder entfernte. Er aber sprach zu dem Weber: Ihr habt schmucke Töchter, habe ich gehört, und gleichen die Anderen Dieser, so hat das Gerücht nicht gelogen. Aber es sagt auch, ihr vertreibet alle Freier und wollet euere Töchter für euch behalten.

Das Gerücht lügt, sage ich euch, antwortete der Weber. Ich vertreibe sie nicht, sie gehen von selbst, denn sie meinen, sich in einen vollen Korb zu setzen und zu schwelgen und da finden sie sich betrogen. Ich kann meine Töchter weder vergolden noch versilbern. Sie bringen in's Haus, was sie von hier mitnehmen: Gesundheit an Leib und Seele, Fleiß und Genügsamkeit. Und dasselbe verlangen sie und ich von den Freiern.

Darauf erwiderte der Greis lächelnd: Da muß ich am Ende wohl gar meine beiden Neffen bei euch als Freiwerber zurücklassen?

Oheim! Nein! Das werdet ihr nicht wollen, sagten die beiden Junglinge, wie mit Einem Munde. Wir wollen euch zuerst an Ort und Stelle bringen.

Und während ich dort ein Geschäft abmache, wollt ihr hier ein anderes euch schaffen? sagte er Nun, wie meint ihr? wendete er sich an den Weber. Dürfen Sie kommen?

Der Weg ist frei, meine Thüre zur Probe offen Wenn die Neffen dem Oheim, wie ich sehe, so treu zugethan sind, werden sie wohl auch gute Hausväter werden. Sie mögen kommen, wann sie wollen.

Die Jünglinge nickten bloß wie zustimmend, das Rößlein trabte dahin, die Jünglinge beflügelten den Wagen, sahen aber auf das Haus zurück, und während der Weber in dasselbe trat, wurden auf einen Augenblick die Mädchen am Fenster sichtbar, und blickten dem Gespanne nach. Waren ihnen die Jünglinge nicht mehr ganz fremd?

Nach wenigen Tagen kehrten die Beiden zu dem Häuschen des Zöllners zurück, es war gerade Sonntag-Mittag und der Vater saß mit den drei Töchtern bei Tisch. Als er die Ankömmlinge erkannte, lud er sie ein, Theil zu nehmen am Mahle. Aber sie dankten, sie hätten bereits draußen im Walde offene Tafel am Brunnen gehalten.

Nachdem das Mittagsmahl genossen und das Dankgebet gesprochen war, in das die Jünglinge mit lauter Stimme eingestimmt hatten, fragte der Weber: Nun sagt, was habt ihr gelernt? Womit wollt ihr euch und die Eueren in der Folge nähren? Und der Eine der Jünglinge antwortete: Ich bin des Schreinerhandwerkes kundig. Und ich, sagte der Andere, deselben Handwerkes wie ihr. Ich bin ein Weber.

Darauf entgegnete der Vater: Nun das ist mir lieb. Da kannst du mich ablösen, und ich kann eine Woche lang ruhen. Meine alten Glieder sehnten sich längst danach. Nun wohlan empfangt euere Aufgabe. Du Schreiner wirst in dieser Woche Alles herrichten, was ein Brautpaar auf dem Lande nöthig hat von deinem Gewerbe in Stube, Küche und Kammer. Alles fest und schmuck, aber nicht verzierlicht. Und du Webergeselle wirst ein Stück Tischzeuch mit Blumengewinden zu Stande bringen. Morgen früh beginnt die Arbeit, heute noch sorgt für das nöthige Geräth zu euerem Werk. Garn und Holz liegen bereit. Auch erwarte ich, daß ihr meinen Zöllnerdienst bei Nacht versehet, damit ich ganz der Ruhe genießen kann; doch mögt ihr einander ablösen und die Zolschranken abwechselnd während der Nacht öffnen und schließen, so oft es nöthig ist. Bei Tag will ich es thun. Die Kost habt ihr bei mir.

Euere Lagerstätte müßt ihr in der Scheune nehmen. Damit entließ er sie. Und der Weber richtete sich den Webstuhl zurecht, sonderte das Garn, trug den Zettel auf und zeichnete Blumen; der Andere legte sich Bretter zurecht und ging in das nächste Dorf, um den ihm nöthigen Werkzeug zu holen. Am anderen Tage begannen sie Beide frohen Muthes und mit manchem Seitenblicke nach den Jungfrauen ihr Werk.

Das Webschifflein flog ohne Rast und der Hobel rauschte, und die Jünglinge gönnten sich keinen Augenblick Erholung während des ganzen Tages als zur Essenszeit. Vormitternachts wachte der Eine und Nachmitternachts der Andere in der Stube hingestreckt auf die Bank vor dem Ofen. So gingen drei, vier Tage dahin. Aber das Ziel war noch ferne, und ihre Kraft ermattete allgemach, zumal während der letzten Nacht in jeder Viertelstunde ein Fuhrwerk ankam, und die Müden aus dem Schlummer rüttelte. Ein Blick auf die Jungfrauen belebte zwar den sinkenden Muth; aber diese schienen, obgleich sie in den ersten Ta gen so vertrauend und fröhlich blickten, nun selbst zu leiden. Der Vater ging indessen ab und zu, stand bald bei dem Einen bald bei dem Anderen, betrachtete ihre Arbeit mit Kennerblicken und schwatzte von Allerlei, nur nicht von der Hochzeit.

Der fünfte Tag war vorüber, der Weber wünschte den Beiden eine gute Nacht, und nachdem sich seine Töchter in die Kammer zurückgezogen hatten, begab er sich selbst in die daranstossende zur Ruhe. Der Eine der Jünglinge blieb in der Stube, der Andere suchte sein Lager in der Scheune auf.

Gerade, als Alle im ersten Schlummer lagen, ertönte Schellengeklingel, ein Fuhrwerk kam. Der Jüngling drinnen in der Stube wachte nicht auf. Doch wurde die Zolschranke geöffnet, und das Fuhrwerk zog des Weges weiter. Nach kaum einer halben Stunde neues Schellengeläute und flackernde Lichter. Der Jüngling schlief fort, und der Wagen rollte nach kurzem Aufenthalte dahin.

Gegen Morgen erwachte der Schläfer in der Scheune, eilte in die Wohnstube, und traf seinen Schicksalsgefährten noch schlafend. Er gönnte ihm die Erholung, ging an sein Werk, und als der Andere bald darauf erwachend dem hellen lichten Tag in's Auge sah, sprang er auf und kam zu seinem Bruder und rief: Wie köstlich war diese Nacht der Ruhe. Kein Laut weckte mich und auch du hast mich nicht geweckt!

Du solltest vielmehr mich wecken, entgegnete der Andere. Nun danken wir dem Himmel für seine Gunst.

Und den Tag über arbeiteten sie mit angestrengter Kraft und ihre Werke schritten vorwärts und die Jünglinge sahen erfreut das Ende vor sich. Noch ein Tag, und die Probe ist bestanden! So sprachen sie sich selbst ermunternd. Und wieder senkte sich die Nacht herab, und der Vater und die Töchter zogen sich zurück in ihr Schlafgemach und der Eine der Jünglinge blieb in der Stube, legte sich auf die Bank am Ofen, und stützte sein Haupt auf die Hand und trachtete, nicht einzuschlummern. Aber bald sank er in einen süßen, tiefen Schlaf. Schellengeläute ertönte von fern, und immer näher, ein Wagen rollte heran; er hörte Nichts. Doch ward der Schlagbaum geöffnet, und das Gespann eilte dahin. Bald darauf kam ein anderes mit lautem Glockenklang und Peitschenknall. Der Jüngling erwachte nicht, wohl aber der Vater der Jungfrauen, er öffnete leise die Thüre zur Stube und sah den Schlummernden, hatte Mitleid mit ihm und wollte hinaus und den Schlagbaum öffnen, als er das Gespann forteilen hörte. Verwundert trat er an's Fenster und schaute in die Nacht hinaus und sah eine Gestalt den Schlagbaum schliessen. Es war eine Frauengestalt mit verhültem Haupte. Er lauschte, sie trat leise in's Haus, und wie sie daher huschte, erkannte der Vater seine älteste Tochter, die wieder in ihr Schlafgemach eilte.

Auch der Vater zog sich wieder zurück, sann und sann, und konnte den Schlaf nicht wieder rufen. Nach einer Stunde uhngefähr tönte von Neuem Wagengerassel daher, der Jüngling schlief fort. Und wieder öffnete und schloß sich die Schranke, und der Vater erkannte in der verhüllten Gestalt seine zweite Tochter. Als nach geraumer Zeit Stimmen draußen laut wurden und Durchgang begehrten und der Vater sich erhob, und raschen Schrittes hinauseilte, war die Schranke geöffnet, und eine Gestalt eben Willens, sie wieder zu schließen.

Halb unwillig fragte er: Wer bist du? Was willst du? Und die jüngste Tochter antwortete: Ach lieber Vater! ich habe so heftige Zahnschmerzen, daß ich nicht schlafen konnte, sondern mich in meine Kleider warf, und umherging und als das Gespann kam, öffnete ich, um es schnell weiter zu befördern, damit du von dem Rufen nicht erwachen solltest. So! entgegnete der Vater. Und deine Schwestern haben dir wahrscheinlich das Zahnweh, an dem sie vor Mitternacht litten, angewünscht! Das gibt einmal eine kranke Wirthschaft. Geh nun und beruhige deine Schmerzen. Jetzt will ich wachen.

Und er wachte und sann und ging vor das Haus, und wenn ein Wagen kam, öffnete er den Schlagbaum, und Keiner der Jünglinge erwachte. Als es Tag wurde, gingen die Jungfrauen an ihr Geschäft, wagten es aber den ganzen Tag über kaum, das Haupt zu erheben. Heimliche Thränen perlten aus den Augen der beiden älteren, sie getrauten sich nicht, den Vater offen anzublicken, vielweniger noch die Jünglinge, und an keinem Tage war wohl so wenig gesprochen worden, als an diesem. Die beiden Freier aber arbeiteten mit frischer Kraft an der Vollendung ihrer Aufgabe, und ehe die Sonne sank, ruhte das Webschifflein des Einen und Hobel und Hammer des Anderen. Sie übersahen noch einmal ihr Werk, dann traten sie vor den Weber und sagten: Kommt und schaut, und dann gewährt uns den bedungenen Lohn.

Der so Angeredete hatte den Tag über lächelnd und singend bald den Einen, bald den Andern bei der Arbeit heimgesucht, und er fand, was sie geleistet hatten, ohne Tadel. Und als sie jetzt vor ihn traten, ergriff er ihre Hände und sagte: Ihr habt das Euere redlich gethan, darum ist es billig, daß auch ich mein Versprechen halte. Und er rief seine beiden älteren Töchter und sagte zu ihnen: Nun ihr habt euch die Freier selbst errungen, so nehmt denn, was euch beschieden ist, und möge der Himmel fort und fort über euch walten!"

Da errötheten die Jungfrauen, die Jüngste, die etwas ferne stand, wendete sich schnell, lächelte und eilte hinweg, die Jünglinge aber merkten, wer für sie gewacht habe. Der Vater aber fuhr fort: Es ist billig, daß Mann und Weib mit einander theilen, was ihnen verhängt wird. Ihr habt erprobt, daß ihr es wollt und könnt. Ziehet denn hin im Frieden.

Und der Vater blieb mit der jüngsten Tochter allein im stillen Hause zurück. Seine Schwiegersöhne siedelten sich in der Nähe an, und wirthschafteten gut. Nicht Lange danach erschien ein Freier um die dritte Tochter. Diesmal verzichtete der Vater auf die Probe, da er bald merkte, die Beiden sehen einander nicht zum ersten Male. Sie hatten sich kennen gelernt, da Jene bei den Schwestern auf Besuch war und weil denn die beiden Schwiegersöhne für den dritten Freier gewissermassen gut sagten, den sie Vetter nannten, willigte der Vater alsobald in die Verbindung, indem er zu seiner Tochter sagte: Daß du für einen Mann wachen kannst, hab ich bereits er fahren, um so mehr wirst du es, wenn es nöthig, für deinen eigenen Mann thun. So werdet denn ein Paar und Gott segne euch! So erzählte Waldherr. Darauf entgegnete sein Nachbar lächelnd:
Nun das sind Sagen, wie man sie im Gebirg und in Städten zu Hunderten hört, und wie sie heut zu Tage auf allen Messen feilgeboten werden.

Das, was ich erzählt habe, ist keine Sage, sondern gewiß und wahrhaftig so geschehen. Das können gar Viele bezeugen, sagte Waldherr.

Der Nachbar aber erwiderte: Das Alles will ich gerne glauben und bei alle Dem ist auch ganz und gar nichts Wunderbares. Ein Freier kommt, wirbt um ein Mädchen, erringt dessen Liebe und die Zustimmung der Eltern und die Hochzeit wird gefeiert. Was ist dabei Außerordentliches? Das ist der Welt Lauf seit Jahrtausenden.

Jener erwiderte mit schlauem Lächeln: Da habt ihr ganz recht, wenn ihr bloß die Bewerbung im Auge habt. Aber woher kamen die jungen Männer?

Das muß doch, versetzte der Nachbar, in unserer schreibseligen Zeit der Taufschein offenbaren. Ohne den werden sie nicht getraut.

Ja wohl! Ihre Papiere waren ganz in der Ordnung ausgefertigt vom Pfarrer und Ortsvorsteher. Aber Niemand konnte je den Ort und den Pfarrer erfragen. Und die Männer selbst, die sich da bei uns oder im Reiche, wie man noch zu sagen pflegt, ansiedelten, beobachteten über diesen Punkt ein unverbrüchliches Schweigen. Aber sie sind Muster häuslichen und ehelichen Friedens, und ihr Hauswesen blüht.

Daß diese unsichtbare Gemeinde auf geheimen Wegen mit der deutschen Welt in thatsächlicher, inniger Verbindung stehe, ist der allgemeine Glaube.

Ihre Söhne ziehen aus und dienen der Menschheit auf gar mancherlei Weise in den untersten Schichten der Gesellschaft, wie in den höchsten als Hausgesinde und Beamte, denn gar Manche studiren auf hohen Schulen, und treten dann da oder dort in höhere Dienste.

Im heiligen Kampfe für Deutschlands Freiheit gegen die Fremdherrschaft stellte die unsichtbare Gemeinde eine wahrhaft heilige Schaar, die sich dem Tode geweiht hatte und namentlich bei Leipzig und Dresden, und dann auf Frankreichs Boden sich auszeichnete.
Sie kämpften für Deutschlands Fürsten, für dessen Ruhm und alte Selbstständigkeit. Sie heißt auch die unsterbliche Schaar und bleibt immer vollzählig, denn stirbt Einer der Schaar, so tritt sogleich ein Anderer ein, und erhält den Namen seines Vorgängers.
So gilt nicht der Einzelne, sondern das Ganze und das ist ein schönes Beispiel der Hingebung des Einzelnen an das Ganze, ein Beispiel für alle Deutsche.

O dächten diese so wie jeder Einzelne jener Gemeinde, dann, ja dann wäre Deutschland der strahlende Mittelpunkt der Welt, und der belebende Hauch des ganzen Völkermeeres auf Erden!

Ich glaube, daß einige Mitglieder der Gemeinde selbst an den geistigen Kämpfen Theil nehmen zur Behauptung der alten Sitte und des alten Gottesglaubens gegen die Gottesläugner unserer Zeit.

Der Untersberger gilt als Hort deutscher Sitte und Zucht, und man glaubt, wenn dieselben je verloren gingen, so könnten sie durch ihn und seine Gemeinde wieder hergestellt werden.

So sprach und erzählte der Bürger, und es folgte ein langes Schweigen, das der Nachbar endlich mit der Frage unterbrach: Wer ist der Untersberger?

Ich kann euch nicht mehr sagen als man weiß: Er ist das Haupt der stillen Gemeinde. So nennt sie sich selbst. Aber was weiter, fragte unwillig und ungeduldig der Nachbar. Woher stammt er? Wer ist er?

Ja, wer er ist? Das fragten schon Tausende vergebens. Der Alte überall und nirgends. Einige behaupten geradezu, der Felsenbauer - der große Guts-besizer im Gebirge sei es.

Auf diese Worte folgte ein beinahe allgemeines Zeichen der Ueberraschung, stilles Bejahen, Flüstern und Winken, als fürchte man sich das offen auszusprechen, was doch Jeder schon längst geahnt hatte. Walafried allein schien die allgemeine Meinung nicht zu theilen oder in dieser Enthüllung nichts Ungewöhnliches, sondern ihm längst Bekanntes zu finden. Doch versank er wieder in tiefes Sinnen.

Der Nachbar des Erzählers aber sagte mit schlecht verhehltem Unwillen: Was ihr da erzählt habt, daran mag etwas Wahres sein. Ich jedoch, und mit mir gewiß Viele wissen es euch wenig Dank, daß ihr eine der schönsten deutschen Sagen zerstört habt, daß ihr todtschlagen wollt, was seit Jahrhunderten im Munde des Volkes lebt.

Wie so? entgegnete der Bürger. Wessen bezichtet ihr mich? Ich bin kein Todtschläger und möchte selbst eine Sage nicht vernichten. Doch die wahre Sage ist unvernichtbar, denn sie wurzelt im Gemüthe des Volkes und geht von Enkel zu Enkel.

Ja doch! Die schöne Sage wollt ihr zerstören: den Glauben,

daß die Helden der Deutschen nach ihrem Tode in den Untersberg verseht werden und darinnen fortleben, bis sie in der Zeit der höchsten Noth und Gefahr für Deutschland in voller Geistes- und Körperskraft hervorschreiten, Jeder in seiner Weise wirke, und das alte glanzvolle deutsche Reich wieder gestalten.

Mit der Vernichtung mit dem Tode dieser schönen Sage oder Dichtung - nein, ich sage vielmehr mit dem Tode dieses Glaubens ist das deutsche Reich für immer zu Grabe getragen und wird sich nie wieder erheben, weil der Glaube an seine Wiedererweckung aus dem Herzen der Deutschen gerissen wird.

Der Glaube verseht nicht bloß Berge, er zerstört und vernichtet auch ganze Reiche.

Als auf diese vorwurfsvollen Worte wieder eine Lange Stille entstand, die selbst der Erzähler nicht unterbrach, erhob sich Walafried und reichte Diesem die Hand und sagte: Wenn euch Niemand dankt für euere Erzählung und Mittheilung, so will ich es thun, und zwar aus vollem Herzen dafür, daß ihr eine alte, wesenlose Dichtung zerstört und eine neue mit Mark und Fleisch begabte und im Farbenglanze des hellen Tages leuchtende an deren Stelle setzet.

Ja fürwahr! Gott wird das alte deutsche Reich nicht wieder erwecken, er wird das deutsche Volk davor gnädig bewahren; aber ein neues schöneres und kräftigeres wird unter seinem Beisstande erstehen.
Bereits legen die verschiedenen Stämme Hand an's Werk und die Fürsten erscheinen als die großen Baumeister, die in gemeinsamer Berathung den Plan entworfen haben und ausführen.
Schon fügt sich Stein an Stein zum Halt für Jahrtausende und über den deutschen Gauen steigt ein Dom empor, der Allen zum Heile und Segen wird.

Euere stille unsichtbare Untersberger Gemeinde soll, so merke ich wohl, ein Vorbild sein für jede deutsche Gemeinde, und für jedes Fürstenthum oder Königreich: der Geist der Einigkeit und des Vertrauens kitte Stamm an Stamm zum festen Bunde zusammen.

Ich redete nicht bildweise, und was ich sagte, ist keine Dichtung, sondern volle Wahrheit, entgegnete der Bürger.

Und ich glaube an diese Wahrheit, fuhr Walafried fort. Laßt sie mir, wie ich sie verstehe.
Ihr habt einen reichsprudelnden Quell der Dichtung entdeckt, und ich wünsche nur, daß unsere tausend stoffarmen Dichter alsobald daraus schöpfen, aber nicht mit unreinen, Händen oder gar mit Steinen ihn trüben.

Möge diese Dichtung selbst gestaltend zur Neugestaltung Deutschlands beitragen!

Den alten Bau zu erneuen wird doch Keinem gelingen.

Das alte Reich zerfiel in sich selbst und mußte zerfallen, weil es sich nicht aufbaute aus den Sitten, Neigungen und Anschauungen des deutschen Volkes, sondern aus Säulen, die aus der Fremde herbeigeholt und in den deutschen Boden eingesenkt wurden, wo sie keinen rechten Haltpunkt fanden.

Fürwahr!
der Dom, welchen Karl der Große zu Aachen mit italienischen Säulen und Baumeistern aufführte, ist das treffendste Bild seines römisch deutschen Reiches. Und der Himmel gab dem großen Manne noch ein Zeichen darüber: Der Dom in Aachen wurde vom Blize getroffen, die Säulen sanken und die Kuppel stürzte ein. Das war die Vorbedeutung, wie es dem Reiche ergehen sollte und mußte!

Sonderbar ungereimt und unnatürlich war die Annahme der römischen Verfassung und des römischen Kaiserthums für die Deutschen. Deshalb konnte es auch nicht festwurzeln, weil es nicht aus der deutschen Natur selbst hervorging. Welcher der deutsch-römischen Kaiser konnte sich denn rühmen, eine solche Herrschaft je er langt und geübt zu haben, wie die alten römischen Kaisser?
Ja, welcher deutsche König hätte sich denn einer solchen Herrschaft rühmen mögen und dürfen?
War nicht unter dem sogennanten deutschen Reiche das deutsche Gesammtvolk in unendlich viele Theile getheilt, zersplittert und die alte Stammes - Eintheilung und Einheit gelöst, und dadurch das Volk sammt seinen Fürsten abhängig geworden von Fremden?

Das ist nun, Gott sei Dank vorbei, vorbei auf immer!

Aber wir wollen nun am Dom der deutschen Einigung der Wiedergeburt Deutschlands mit aller Geisteskraft einträchtig arbeiten, daß Könige und Fürsten
und Stamm an Stamm sich im schönen Bunde reihe und über sie Alle der Eine, Unsichtbare – Gott!

Und zu seiner Zeit wird er auch den Fürsten Einsicht, Muth und Kraft geben, bei allgemein drohender Gefahr Einen aus Ihrer Mitte zu wählen, der als Deutschlands Großwardein des Bundes Einheit und Selbstständigkeit und des deutschen Namens Ehre aufrecht erhalte!

So sprach er und schwieg und es schwiegen die Bürger. Alle dachten den Worten nach, indessen entfernte sich Walafried still und kehrte zu seiner Wohnung zurück.
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Ein Woelkchen

Von hier aus wird er "Segen spenden"!
“Signum regnum“

Ein Woelkchen

"Ecce, verburn domini, fugite partes adversae!"
(Seht, des Wort des Herrn, flieht ihr feindlichen Parteien!)

Als sie diese Anhöhe (den Unterberg) erreicht hatten, sah ich plötzlich, wie der eine der beiden Männer, nämlich der in dem Augustiner-Ordenskleide, riesenhaft an Größe zunahm. Sein Haupt reichte in die Wolken und sein Schatten überdeckte weithin das Land. Und er erhob seine Hand und schrieb in die Wolken des Himmels und sprach zugleich mit starker Stimme, die gleich einem fernen Donner über die Erde schallte: "Ecce, verburn domini, fugite partes adversae!" (Seht, des Wort des Herrn, flieht ihr feindlichen Parteien!)
Visionen zur Endzeit – Hepidanus von St. Gallen …