geringstes Rädchen

Besuche aus einer anderen Welt Offenbarungen an Fulla Horak (Kapitel 3)

3. Kapitel

„Da wurden ihnen die Augen aufgetan“ (Lk 24, 31)

10. August 1935. Sechs Uhr nachmittags. Im großen Salon sitzen einige zufällig versammelte Personen und trinken Kaffee. Die Gespräche drehen sich um allgemeine, hier und da auch um persönliche Themen. Eine der Damen erzählt vom glücklichen Ausgang irgendeiner wichtigen Angelegenheit und sagt abschließend:

„Das verdanke ich alles der Mutter Gottes von Tschenstochau. Ich habe sie inständig und voller Vertrauen um Hilfe gebeten, und sie hat mich nicht im Stich gelassen.“ Ich hatte meine eigenen Erfahrungen noch in lebhafter Erinnerung und unterbrach sie heftig:

„Was macht sie so sicher, daß gerade s i e Ihnen geholfen hat? Offensichtlich sollte es so kommen. Woher wissen Sie, ob das alles nicht auch ohne ihr Gebet geschehen wäre? Ich verstehe nicht, wie man vom Himmel Segen wie Manna erwarten kann, wenn man zu einem Bild betet! Ich glaube gar nicht an die Existenz einer Mutter Gottes!“

Daraufhin entwickelte sich eine unerwartet lebhafte Diskussion über religiöse Themen. Mit einer Sicherheit, die keinen Widerspruch duldete, verkündete ich mein gottloses Credo und attackierte besonders das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis.

Je mehr ich redete, um so sicherer wurde ich mir meiner selbst und meiner Überzeugung. Gleichzeitig jedoch verspürte ich — durch den ganzen Stolz auf meine intellektuelle Überlegenheit hindurch, die es mir ermöglichte, die schüchternen Argumente der anderen so leicht und vernichtend zu schlagen, eine wachsende Verachtung für den Wankelmut ihrer Auffassungen, für den Mangel an Eifer, den sie bei ihrer Argumentation an den Tag legten, für die fade Halbherzigkeit eines solchen Glaubens.

Die einzige Person, die sich nicht an der Diskussion beteiligte, war eben diese Dame, die von der unlängst erfahrenen Gnade erzählt hatte.

Erst als ich schon völlig sicher war, daß ich alle überzeugt hätte und dieses Thema erschöpft sei, hörte ich überrascht ihre Worte voller Mitgefühl und Güte: „Gott! Wie unglücklich müssen sie sein, daß sie nicht glauben!“

Tief getroffen von dem Mitleid in ihrer Stimme und zugleich überrascht von der unerwarteten Wendung des Gesprächs, fragte ich gereizt: „Und sie glauben? — „Ich glaube!“, antwortete sie freudig.

Zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich jemanden diese Worte so kraftvoll, mit solcher Ergriffenheit und Leidenschaft aussprechen. Seit Jahren wünschte ich mir sehnlich, sie so aussprechen zu können. Erregt durch das vorangegangene Gespräch und nun noch bis ins Mark erschüttert, konnte ich mich nicht mehr beherrschen: Ich brach in Tränen aus — plötzlich, heftig. Weinen erfaßte meinen ganzen Körper. Jeder Nerv, jedes kleinste Teilchen meines Wesens wurde von einer Wehmut geschüttelt, die ich nicht verstand. Die Ursache für diesen Ausbruch ging darin verloren, so wie alles um mich herum, nur dieses hemmungslose, herzzerreißende Weinen blieb.

Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Durch die Benommenheit, durch das rauschende Hämmern des Blutes in meinen Ohren drangen schließlich einige unzusammenhängende Worte in mein Bewußtsein, über irgendein Licht über mir. Danach hörte ich, daß alle davon sprachen; von einem Licht, das über meinem Kopf erschienen sei. Überzeugt, daß sie mich mit diesem kindlichen Scherz nur zur Besinnung bringen wollten und zugleich beschämt über die Schwäche, der ich mich in ihrer Gegenwart hingegeben hatte, sprang ich vom Sofa auf, um ins Nebenzimmer zu flüchten. Als ich durch den Salon lief, hörte ich noch die erstaunten Rufe der anderen, daß sich dieses Licht mit mir vorwärtsbewege und mit mir hinausgehe. Dann machte ich die Tür hinter mir zu.

Auf einem Sofa liegend, bemühte ich mich um Fassung. Vor allem wollte ich so schnell wie möglich dieses Haus verlassen, in dem ich mich so blamiert hatte. Nie hatte mich jemand bis dahin auch nicht in den schwersten Stunden weinen gesehen. Ich war jedoch nicht imstande, mich zu regen.

Ich fühlte, wie ein starker, heißer Strom durch meinen ganzen Körper hindurchströmte, Wellen von irgend etwas überwältigend Süßem, etwas, das zwar in mir entstand, aber von außerhalb stammte und mir fremd war, wie aufgezwungen. In dem Maße, in dem sich die Wärme in mir ausbreitete, erfaßten mich Frieden und Ruhe. Ein wunderbarer, tiefer Friede. Ich spürte nach dem heftigen Weinen, nach dieser Erschütterung, nach dieser Aufregung keinerlei Erschöpfung. Als ob ich mir das, was vorher geschehen war, nur eingebildet hätte, und die Wirklichkeit einzig und allein darin bestand, daß ich mich nun ruhig und behaglich fühlte.

Ich ging hinaus, ohne mich von jemandem zu verabschieden. Den ganzen Weg hindurch spürte ich in mir diese fremde, durchdringende Kraft und dieses Glücksgefühl; nach außen jedoch war ich inzwischen völlig beherrscht. Zu Hause merkte niemand etwas von der inneren Erschütterung, die ich gerade durchlebt hatte.

Damals ist mir überhaupt erst deutlich bewußt geworden, wie sehr jeder einzelne Mensch sein Leben allein für sich lebt. Wie wenig die anderen von ihm wissen. Und wie gut es ist, daß man seine Erlebnisse so ausschließlich für sich allein behalten kann.

Als ich dann nach zehn Uhr beim Schlafengehen mein gewohntes Gebet sprach: „Gott! Wenn es dich gibt, schenke mir Licht!“, mußte ich wieder weinen. Da ich diese Gemütsbewegung nicht verstehen konnte, sah ich in ihr ein Zeichen dafür, daß sich meine Nerven in einem sehr schlechten Zustand befinden müßten und dies bestimmt der Anfang von Hysterie sei. Da wurde ich erneut von jener seltsamen Woge überströmt, die so deutlich von außen kam und fremd war, daß mir der Gedanke an eine Heilbehandlung mit Elektroschocks kam.

Gleichzeitig fühlte ich, daß hinter mir jemand war. Ich sah mich um und erblickte auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers, nicht weit vom Fenster, eine Gestalt. Durch die ununterbrochen über mein Gesicht fließenden Tränen konnte ich sie nicht genau erkennen. Ich hätte sie auch nicht mit Worten beschreiben können. Ich wußte nur, daß sie da war.

Ich war weder überrascht noch erschrocken. Es war mir nur, als ob dieser starke Strom mich erhebt und ich im nächsten Augenblick aufhören würde zu existieren. Ich weiß nicht, wie lange das gedauert hat. Ich weiß auch nicht mehr, was danach geschah. Ich konnte nicht anders als einschlafen.

Als ich am nächsten Morgen meine Augen öffnete, war ich mir absolut sicher, daß das, woran ich mich erinnerte, kein Traum und auch keine Einbildung gewesen sein kann. Ich glaubte, daß mir eine Seele erschienen ist, um mir den Beweis für ein Leben nach dem Tod zu erbringen und um mich um ein Gebet zu bitten. Zur gleichen Zeit bemerkte ich in mir einen unanfechtbaren — und ich weiß nicht, wann entstandenen — Glauben an ein zukünftiges Leben. Nichts konnte diese innere Gewißheit mehr ins Wanken bringen. Ich wußte!

Die nächsten drei Tage betete ich deshalb ununterbrochen für diese Seele. Da ich nicht mehr an das Beten gewöhnt war, erinnerte ich mich nur noch an „Vater unser“, „Herr, gib ihr die ewige Ruhe“ und „Gedenke, o gütigste Jungfrau Maria“, und diese drei Gebete betete ich ständig im Wechsel.

Am Dienstag abend, als ich wieder zum Gebet niederkniete, erfaßte mich erneut dieses mir schon bekannte Gefühl von Glück und Getragenwerden, und da erblickte ich, dieses Mal nicht mehr durch Tränen hindurch, sondern deutlich und leibhaftig, eine Nonne in der Tracht des Ordens Sacre Cœur; jung und sehr schön, sie lächelte mich sanft an. Um sie herum sah ich weder ein Licht noch irgend etwas, das auch nur im geringsten ungewöhnlich gewesen wäre, und doch fühlte ich mich ganz und auf wohltuende Weise durchstrahlt von einer Helligkeit, die von ihr ausging.

Ich kannte sie nicht. Trotzdem erschien sie mir nicht fremd. Ich wagte nicht, mich zu rühren oder einen Laut von mir zu geben, obwohl ich nicht erschrocken war. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, mich gewundert zu haben.

„Ich grüße dich!“, fing sie als erste zu sprechen an, „Du sollst das Kloster aufsuchen. Dort bin ich ständig unter euch. Komm zu Besuch ins Kloster“, sagte sie mit Nachdruck. „Am Samstag komme ich wieder. Lebe wohl ...“ Bevor sie wieder verschwand, fragte ich schnell, ich weiß bis heute nicht, warum, ob sie die Mutter Oberin aus dem Kloster Sacre Cœur in Lemberg kenne. Die fremde Nonne lächelte bedeutungsvoll und erwiderte: „Ich kenne sie alle. Lebe wohl...“ Wie und wann sie ging, konnte ich nicht erkennen. Ich wußte nur, daß sie vorher da war und dann nicht mehr.

17.08.1935

Am Samstagabend erschien sie mir erneut. Sie sagte: „Sei gegrüßt! Du gehörst zu uns, deshalb möchte ich dir sagen, daß du wichtige Aufgaben zu erfüllen hast.“

„Ich kann nicht! Ich bin zu nichts fähig ich schaffe es nicht!“

„Wir werden dir helfen. Gott hat dir die überaus wertvolle Gabe des Verstandes gegeben.“

„Aber was soll ich denn tun? Und wie?“

„Du wirst fühlen, was du tun sollst. Du mußt Taten vollbringen, und andere werden dir in allem helfen.“

„Aber ich habe doch so viele Sünden begangen?“

„Beruhige dich. Ich und ein bestimmter belgischer Staatsmann sind bei dir und betreuen dich. Gott hat dir erlaubt, dich zu freuen. Jetzt gehe ich, mein liebes Kind ... Mein liebes Kind“, wiederholte sie mit Sanftmut, „ich komme erst am ersten Samstag im Oktober wieder.“

Als ich hörte, daß ich sie erst in sechs Wochen wiedersehen sollte, fing ich an zu weinen. Die Nonne blieb noch eine Weile neben mir stehen, und dann, so wie beim ersten Mal, ging sie nicht, sondern hörte einfach auf da zu sein.

Bis heute kann ich nicht verstehen, wie es möglich ist, daß ein Mensch, der so nüchtern, kühl und vorsichtig ist wie ich, ein fremdes, unbekanntes Wesen vom ersten Augenblick an so liebgewinnen und ihm blind vertrauen kann, nur weil es diese einfachen Worte „mein liebes Kind“ zu mir sagte. Ich analysierte überhaupt nicht mehr! Von ganzem Herzen liebte ich diese Stimme, dieses Lächeln, diese gütigen dunklen Augen, und der Gedanke, sie so lange nicht wiederzusehen, ließ neue Tränen über mein Gesicht fließen.

Von diesem Tage an änderte sich mein Verhältnis zur Welt radikal. All das, was mir vorher schwierig und problematisch erschien, was mich ärgerte oder schmerzte — es hörte auf wichtig zu sein! Ich hatte jetzt etwas, worauf ich warten konnte, hatte mein großes, wunderbares Geheimnis; ich wußte, wofür ich lebte — wenigstens bis zum fünften Oktober!

Der erste Mensch, dem ich von diesen Ereignissen erzählte, war meine Freundin Bucia. Sie freute sich mit mir und für mich, äußerte aber keinerlei Vermutungen in Bezug auf die Person meiner Nonne. Erst als ich später Mutter Helena von Sacre Cœur — an die ich all die vorher beigefügten Briefe geschrieben hatte — von dem, was mir geschah, erzählte, rief diese aus: „Das kann nur unsere heilige Mutter sein, und der belgische Staatsmann — es ist Kardinal Mercier!“

Da ich so gut wie nichts über die heilige Stifterin des Klosters Sacre Cœur wußte, gab mir Mutter Helena ein kleines Bild von ihr und ein Buch mit dem Titel „Das innere Leben der hl. Magdalena‑Sofia Barat“. Ich konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß dieses Bildnis mit den strengen, harten Gesichtszügen meine schöne Nonne darstellen sollte. Mutter Helena irrte sich bestimmt. Die, die ich kannte, konnte demnach nicht die hl. Magdalena‑Sofia sein. Zwischen ihr und dem Bildchen gab es nicht die geringste Ähnlichkeit.

Um Gewißheit zu haben, mußte ich bis Oktober warten. Ich war überglücklich, als dieser Tag endlich herankam. Da bei mir zu Hause ständig irgend jemand in mein Zimmer hereinplatzte, mußte ich Bucias Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Bucia war sowieso die meiste Zeit außer Haus, bei ihr konnte ich allein sein und mich konzentrieren, und ich wartete.

„Sei gegrüßt“, sagte meine Nonne und stand plötzlich neben mir. „Ich bin gekommen, weil ich dir nahelegen möchte, dich dem „Heiligsten Herzen des Herrn Jesus“ zuzuwenden. Lies in dem Buch „Das innere Leben der heiligen Magdalena‑Sofia“ ab Seite 118 vier Blätter und ab Seite 145 sieben Blätter. Daraus lernst du die Liebe zum Kreuz und von dort bekommst du die Gaben des Hl. Geistes. Schlag das Buch gleich auf und sieh nach.“

Ich hatte das Buch bei mir und schlug die genannten Seiten auf. So sehr ich den Worten meiner Nonne auch absoluten Glauben schenkte, so sehr war ich doch verwundert, als ich das, was sie mir gerade gesagt hatte, auf diesen Seiten las.

„Bist du die heilige Magdalena‑Sofia?“, fragte ich. Wie amüsiert durch meine vermeintliche Neugier, lachte sie bestätigend.

Wer dieses Lächeln nie gesehen hat, kann sich nicht vorstellen, wie bezaubernd es war.

„Warum haben die im Kloster bloß so häßliche Bilder!“, rief ich aus. „Ich habe es schon lange gekannt und mochte es nie. Heilige Mutter, ich konnte mich bis jetzt nicht überwinden, deinen Lebenslauf zu lesen, so sehr hat mich dein Abbild abgeschreckt.“

„Du wirst mich einmal ähnlicher malen und ein Buch über mich schreiben. Ich werde dir dabei helfen.“

„Ich und über eine Heilige schreiben? Und meine Sünden?“

„Hab' keine Angst. Gott vergibt dir deine Sünden. Bitte Herrn Jesus um Verzeihung, sobald du spürst, daß du dazu bereit bist.“

„Wie soll ich ihn um Verzeihung bitten?“

„Durch eine Beichte“

Ich hätte beinahe abgelehnt, wenn ich sie nur nicht so geliebt hätte. Aber ich wollte ihr nicht weh tun und schwieg.

„Du bist stark, Fulla. Ich werde immer bei dir sein, und du verhalte dich stets so, als würdest du mich sehen. Gott hat dich auserwählt, mein liebes Kind. Deine Aufgabe kommt dir vielleicht zunächst schwierig vor; du sollst andere für die Liebe zum Herzen Jesu fähig machen.“

„Ich habe Angst, heilige Mutter, daß ich das vielleicht nicht schaffe.“ „Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin stets mit dir. In zwei Sonntagen komme ich wieder. Ich fühle mich wohl bei dir. Gute Nacht, ich drücke dich an mein Herz.“

Ich wußte, daß meine geliebte Heilige mich nun verläßt, wie jedesmal, und fing an zu weinen.

20.10.1935

„Friede sei mit dir“, sagte sie zu mir, „warum bist du so traurig?“ „Weil ich immer deutlicher mein ganzes Elend sehe.“

„Du hast schon große Fortschritte im Guten gemacht. Und nun höre zu, Fulla: Vor längerer Zeit starb in Lemberg Pater Adam, ein Dominikaner. Wenn du einmal aufmerksam und inständig eine hl. Messe in seinem Sinne mitfeiern würdest, wäre er von den Qualen des Fegefeuers erlöst, die er gerade durchleidet. Nachher könnte er dir geistig sehr helfen. Machst du es?“ — „Ja, das mache ich.“

„Pater Adam hat viele Fehler gemacht, aber weil er sein ganzes Leben lang als Mönch die Mutter Gottes verehrt hat und jeden Samstag ein Licht vor ihrem Bild anzündete, wurde er, während seine Seele im Fegefeuer dunkle Qualen durchlebte, belohnt. Als in der Welt gerade ein Samstag war, erhellte ihm die Mutter Gottes diese bedrückende Dunkelheit, so wie er es damals mit seinem Licht samstags getan hat. Ich möchte dir heute das Wesen der Liebe erklären.“

„Du bist meine Liebe!“

„Wann wirst du den lieben Herrn Jesus in dein Herz einladen?“

„Ich kenne den Herrn Jesus nicht und liebe ihn nicht. Ich liebe dich.“ „Du wirst ihn lieben.“ Ich brach in Tränen aus.

„Ich will außer dir niemanden lieben“, wiederholte ich weinend.

„Weine nicht. Die Quelle der Liebe befindet sich im Herzen, nicht im Kopf. Das betrifft unsere Mitmenschen. Denke nachher darüber nach. Weine nicht. Hole Papier und Bleistift. Mach' kein Licht. Schreibe.“ Da ich mich nicht beherrschen konnte, sagte sie: „Beruhige dich und komm her zu mir. Nicht von dieser Seite. Setz dich näher zu mir. Beruhige dich.“

Ich setzte mich mit einem Heft auf den Knien, und plötzlich begann der Bleistift sich von selbst auf dem Papier zu bewegen. Ich hielt ihn nur fest. Ich wußte nicht, was er schrieb, weil ich kein Diktat hörte. „Mach' Licht und lies es dir durch. Morgen mittag komme ich zu dir. Jetzt gehe ich, mein liebes Kind. Lebe wohl.“

In dem Heft las ich: „Achte auf deine Gesundheit. Halte dich nicht immer zu lange in der Kirche auf. Sei herzlich zu den Guten, und habe für alle ein mildes Wort.“

Als sie weg war, schrieb ich Wort für Wort unser ganzes Gespräch auf. Damit mir nichts verlorenging, tat ich es im übrigen dann jedesmal. Am Montag ging ich in die Kirche der Dominikaner und betete so inständig und so gut wie ich nur konnte, als ob ich all die verlorenen Jahre im Gebet nachholen wollte; die ganze Messe hindurch auf den Knien.

Ich tat es weder aus Liebe zu Gott noch aus Pflicht, nicht einmal für meine geliebte Heilige — einzig und allein aus dem leidenschaftlichen Glauben heraus, daß ich diesen Dienst der seit langem leidenden Seele des Pater Adam erweise. Wenn mir nicht die Warnung eingefallen wäre, nicht zu lange in der Kirche zu verweilen, wäre ich dort bis zum Nachmittag geblieben.

Heute Mittag sollte meine Heilige zu mir kommen. Damals sah ich sie zum ersten Mal bei Tageslicht. Sie trug ausnahmsweise keine Tracht, nur weiße Schleier. Sie ist nicht sehr groß und geht mir bis zu den Augenbrauen. Sie sieht sehr gut aus und hat wunderschöne Augen. Sie sind nicht braun und nicht schwarz, sondern in einem sehr dunklen stahlgrauen Ton.

„Ich will deiner Seele Frieden und Ruhe einflößen. Liebe mich immer genauso. Ich bin ein Geschöpf Gottes. Zu allererst und am höchsten achte Gott, seinen Sohn und seine gebenedeite Mutter. Es tut gut, mit Gott zu leben und alle Sorgen an ihn abzugeben. Ich möchte dir bei der Vorbereitung auf die Beichte helfen. Fühlst du in deiner Seele, daß du ein Geschöpf Gottes mehr liebst als Gott?“

„Ja. Ich liebe dich mehr als Gott!“

„Das ist Sünde. Sobald es dir bewußt ist, darfst du absolut nicht mehr auf diesem Weg weitergehen und Ketzerei verbreiten.

Jeder heilige Tag muß durch eine hl. Messe und gute Taten geheiligt werden.

Hab Achtung vor den Sorgen, die sich deine Eltern um dich machen. Du darfst gute Regungen weder in deiner Seele noch in der Seele eines anderen zerschlagen.

Vermeide Unkeuschheit, sei es in Gedanken, Worten oder Taten. Benachteilige die Armen nicht.

Rede nicht schlecht über andere Menschen. Laß dich nicht von Begierden beherrschen. Faste jeden Freitag und an anderen Fasttagen für unseren Herrn Jesus.

Büße damit für alle Sünden, die du begangenen hast, um in schweren Zeiten nicht klagen zu müssen. Bekenne, was in deiner Seele unwürdig ist. Ich helfe dir.

Nach der ersten Beichte und hl. Kommunion gehe einen Monat lang nicht zu den hl. Sakramenten. Das gilt als Buße für die zu Unrecht empfangene hl. Kommunion in Zeiten des Unglaubens. Ich liebe dich und weiß, daß du mich liebst. Du bist empfindlich und kannst nicht so lange — besonders nicht im Winter — in der Kirche knien. Im November mußt du aufpassen, daß du dich nicht erkältest.

Fulla! Sei nur bloß nicht traurig. Ich komme den ganzen November nicht, erst wieder am 8. Dezember. Dann werde ich genauso wieder vor dir stehen. Diese Woche, bevor du zur Beichte gehst, werde ich noch einmal mit dir sprechen.“

Nach diesen Worten sah ich um meinen Kopf herum einen heiligen Lichtkreis und ihre weißen Hände berührten mich.

„Sei nicht traurig, Fulla. Im Schein der Liebe unseres Herrn Jesus ist es hell, behaglich, freudig und heiter. Du wirst sehen, es wird dir gefallen, Fulla. Sorge dich um nichts. Alle guten Gedanken wird dir unser Herr Jesus eingeben, wenn du ihn einen Monat lang nicht verlierst. Er sagt dir alles.

Fulla, sei nicht zu stolz. Wenn man in der Welt lebt, muß man mit der Welt leben. Wenn du vollkommen selbständig sein willst, mußt du dich oft mit Schwierigkeiten herumschlagen und gegen sie ankämpfen; du mußt dich um alles selbst sorgen. Schließe dich anderen Menschen an. Schade, daß du so wenig spielst. Gott mag Musik, Lieder gefallen ihm.“

„Ich möchte ein Lied über dich schreiben.

„Du wirst ein geistliches Lied schreiben. Ich helfe dir, aber ich kann das nicht für dich tun. Gott hat andere Pläne. Du wirst ein Lied mit einem zweifachen Gebet schreiben, und es wird Gott doppelt gefallen. Ein Lied ist doppelt so viel wert wie ein Gebet ohne Melodie. Schau dir deine Seele an, Fulla. Siehst du?“

Ich spürte meine Seele, sie war erfüllt mit göttlichen Gaben, und ich sah, daß jede Gabe von der Gnade Gottes und meinem guten Willen abhängig ist und bis ins Unendliche vermehrt werden kann.

Jeder Mensch soll eine Aufgabe erfüllen. Du spürst, daß Gott dir Talent gegeben hat. Aus Dankbarkeit mußt du ihm die Früchte dieses Talents zeigen. Du wirst mein Bild malen, aber noch nicht jetzt. Wenn du in Gesellschaft von Jugendlichen und Kindern bist, erzähle ihnen von mir. Ich liebe die Jugend und werde sie anhören. Ich bin aufgrund meiner eigenen Verdienste hergekommen und bringe dir bei, mit Gott zu sprechen. Unser Herr Jesus wird sich freuen, wenn er in deiner Seele wohnen kann. Sei beherrscht in deiner Rede. Ich komme diese Woche noch einmal wieder und dann erst im Dezember.“

Meine Heilige küßte mich. Ich habe es ganz normal gespürt, so wie man den Kuß eines Lebewesens spürt.

Samstag, 26.10.1935

„Ich grüße dich“, sagte meine Heilige strahlend und mit einem freudigen Lächeln. „Du bist gut vorbereitet. Alles ist gut.“

„Verzeih' mir, meine heilige Mutter, wenn ich dich seit dem letzten Mal durch irgend etwas traurig gestimmt haben sollte.“

„Nein. Du hast mir viel Freude bereitet. Und jetzt hör' zu: Deine Mutter grämt sich über dich. Wenn du kannst und magst — du mußt aber nicht — sag ihr, daß du zur Beichte gehst und sie um Verzeihung bittest. Es geht nicht um großartige Entschuldigungen, sondern um einen Akt der Demut, darum, sich zu überwinden.“

„Gut, heilige Mutter.“

„Ich bin gerührt, aber denke daran, du mußt nicht. Hör' mir zu, Kleines. Der heiligsten Jungfrau Maria gebühren große Hochachtung und Liebe. Ich weiß, daß du sie noch nicht lieben kannst, aber sie wird dir dieses Verständnis eingeben. Sie besitzt die höchste Tugend. Kein anderer Heiliger war so tugendhaft. Darüber hinaus ist das der Gipfel der Weisheit, mit dem Willen Gottes einverstanden zu sein, von der Kindheit an bis zum Tod. Die heiligste Jungfrau Maria war ganz rein, leuchtend und weiß. Sie hat Gutes getan. Sie wollte nicht mit ihrem Verstand ergründen und nahm von Gott alles an, so wie man Blumen annimmt — ohne Bedenken — und deshalb ist sie besonders heilig. Fulla! Ich werde immer bei dir sein, werde dich niemals verlassen. Deshalb sollst du viel Ruhe in deinem Herzen und in deiner Seele haben. Liebe getrost Gott und alles, was man lieben soll. Gott lieben muß man auch durch Arbeit, nicht nur in der Kirche. Man muß ihn überall spüren. Ich weiß, daß du das nicht kannst. Gib deine ganze Mühsal an Gott ab. Das ist das vollkommenste Gebet.“

„Heilige Mutter, warum leuchten deine Hände?“, fragte ich, als ich plötzlich deutlich sah, daß ihre Hände hell durchstrahlt waren.

„Weil sie Gutes getan haben und heilig sind. Ich habe bewirkt, Fulla, daß du unseren Herrn Jesus die ganze Zeit bei dir haben wirst, bis ich wiederkomme. Er ist jetzt schon bei dir und bleibt in dir. Achte auf deine Gesundheit. Du vergißt täglich für einige Stunden, daß du auf der Welt lebst. Halte dich nicht so lange in der Kirche auf. Man kann Gott nie zu sehr lieben, man muß ihn jedoch überall lieben.“

„Das ist doch meine einzige Freude, wenn ich dich nicht sehe — die Kirche!“

„Von Zeit zu Zeit muß man sich diese göttlichen Annehmlichkeiten versagen, um gewöhnliche Dinge zu tun. Ich freue mich, daß du meine Ratschläge dankbar annimmst. Weine nicht. Ich werde dich morgen segnen, und ich segne dich jetzt.“ Ich kniete nieder, und meine Heilige legte ihre beiden Hände auf meinen Kopf. Ich verspürte deutlich ihr Gewicht.

„Du hast Hunger, Kleines. Geh' jetzt und iß zu Mittag.“ „Noch nicht. Bitte, noch ein Weilchen!“

„Sehne dich nicht nach mir. Ich werde immer bei dir sein. Fühlst du, Fulla, daß ich deine Nerven heile und beruhige? Ich pflege dich physisch. Bist du zufrieden mit deiner Pflegerin?“, fragte sie mit dem allerliebsten Lächeln. „Sprich noch nicht zu den Menschen über die inneren Freuden. Man soll nicht darüber sprechen, denn es wäre möglich, daß die Menschen unseren Herrn Jesus verspotten. Siehst du, es ist doch gar nicht so schwer, sich von schlechten Angewohnheiten zu lösen. Der Mensch schafft sich nämlich für gewöhnlich selbst seine eigene Begriffswelt und schreitet in ihr — dabei kann man sich auch eine andere, schönere und göttliche schaffen.

„Mutter ... heiliges Mütterchen ... gibt es irgend ein gutes Buch über dich?“'

„Nein. In keinem Buch hat man jemals aufgeschrieben, wie es in meiner Seele aussah. Unbeholfen habe ich Jesus und der Mutter Gottes nachgeeifert und ein wenig ist es mir auch gelungen.“

„Heiliges Mütterchen! Ich liebe dich!“

„Liebe nur, liebe... Die Heiligen lieben heißt, durch ihre Verdienste Hilfe zu bekommen. Heilige beschützen euch vor bösen Dingen.“

„Heiliges Mütterchen, zu welchem Priester soll ich beichten gehen?“ „Ich kann dir keinen Priester aussuchen. Man kann in jeder Kirche einen schwachen Geistlichen antreffen. Du kennst dich aus in Physiognomien, also entscheide selbst. Bete kurz vorher. Ich bin zufrieden mit dir, Fulla. Freue dich, daß du uns nahe bist. Fürchte dich nicht und bereue aufrichtig.“

„Heiliges Mütterchen, vergibst du mir meine Sünden?“

„Sei nicht töricht, Fulla! Kein Heiliger, nicht einmal die Mutter Gottes kann das. Ich prophezeie dir für die Zukunft vollkommene Reinheit von Sünden. Du warst in deiner Seele niemals darauf eingestellt, Sünden zu erkennen.“

Sie kam erneut auf mich zu und legte ihre Hände auf meinen Kopf. „Ich liebe dich, Fulla, mein liebes Kind. Geh', ich werde stets in deiner Nähe sein. Wir werden beide achtgeben, daß unser Herr Jesus dein Herz nicht verläßt. Lebe wohl.“

Dreimal küßte mich meine hl. Mutter und berührte mein Haar. Im nächsten Augenblick erhob sie sich, hell und leicht in die Luft — mit dem Finger auf ihren Lippen zum Zeichen des Schweigens — und verschwand.

Nur dieses eine Mal habe ich sie so verschwinden sehen.

Als ich wieder zu Hause war, begann ich mit mir selbst zu kämpfen. Sich bei meiner Mutter entschuldigen! Ich soll hingehen, bekennen, daß ich zur Beichte gehe und dieses Wort herauswürgen: Vergib mir. Mein ganzes trotziges, stolzes Wesen lehnte sich dagegen auf. Ich will nicht! Ich will nicht! Es hat doch überhaupt keine Mißverständnisse zwischen uns gegeben. Es ist doch nicht meine Schuld, daß meine Mutter sich über mich ärgert. Wozu also?

Nach dem Mittagessen hatte ich Unterricht in der Stadt. Um den Augenblick der Entscheidung hinauszuzögern, nahm ich mir vor, mir erst nach meiner Rückkehr endgültig zu überlegen, ob ich mich dem füge oder nicht. Während des ganzen Unterrichts rang ich mit mir selbst. Schließlich, da ich alles tun wollte, was meine geliebte Betreuerin mir aufgetragen hatte, beschloß ich, mich zu überwinden. Ich stand schon vor unserer Wohnungstür, als mir plötzlich einfiel, daß meine heilige Mutter deutlich zu mir gesagt hat: „Du mußt nicht“. Diesen Akt der Dernut hatte sie demnach nicht von mir verlangt, sondern ihn mir nur empfohlen. Sie überließ es meiner Einsicht und meinem Willen. Und ich wollte mit meiner ganzen Kraft nicht.

Ich kehrte auf dem Absatz um und lief wie befreit von dieser mich erdrückenden Last zur Kirche der hl. Maria‑Magdalena.

Die Freude jedoch, mit der ich der Beichte entgegensah, verging mir irgendwie. Irgend etwas in mir war nicht so, wie es sein sollte. Ein Schatten fiel auf mein Herz, ein schlechter Geschmack oder Trauer trübte meine bisherige Ruhe. Sollte man sich vielleicht doch überwinden? Es war doch möglich, daß ich nur deshalb keinen eindeutigen Befehl erhalten hatte, weil es auf meine eigene Entscheidung ankam? Vielleicht legte meine hl. Mutter Wert darauf? Mein bezauberndes, teures, liebstes, heiliges Mütterlein!

Ich machte auf der Stelle kehrt und rannte, als ob ich Angst hätte, es mir wieder anders zu überlegen, zurück nach Hause. Ich weiß noch, daß ich irgendwo am Rande meines Bewußtseins die vage Hoffnung hegte, meine Mutter zu Hause nicht anzutreffen.

Sie war jedoch da. Ohne jegliche Einleitung trat ich zu ihr hin und stieß in einem Atemzug aus:

„Ich gehe heute zur Beichte. Verzeih' mir ...“ und fing an zu weinen. Meine Mutter fing ebenfalls zu weinen an.

Das war die größte Überwindung meines Lebens. Niemand, der nicht ich ist, wird je verstehen, warum. Ich bin mir jedoch völlig sicher, daß dieser Akt so manchen meiner Fehltritte wieder gutgemacht hat.

Am selben Abend beichtete ich in der Kirche der Dominikaner‑Patres. Es kam mir vor, als würde ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich beichten. Ich erwähnte mit keinem Wort die Gnade, die mir widerfahren war, und schilderte ganz einfach den bisherigen Zustand meiner gottlosen, trotzigen, forschenden und rebellischen Seele. Ich bekannte mich dazu, daß ich andere voller Wut vom Glauben abgehalten hatte, aus Verzweiflung darüber, daß ich selber keinen hatte. Ich beichtete meinen Hochmut und die Unnachgiebigkeit meines verstockten Herzens. Zu meiner Entlastung konnte ich nur einen einzigen Punkt anführen — obwohl ich es damals schon ausschließlich für göttliche Gnade und Fügung hielt — daß ich schon immer, seit meiner Kindheit, eine unüberwindliche Abscheu vor üblen und schmutzigen Dingen hatte.

Am nächsten Tag, genau am Christ‑Königs‑Fest, empfing ich während einer Messe in der Kirche der hl. Maria‑Magdalena die hl. Kommunion. Das tat ich auf ausdrückliche Weisung meines hl. Mütterchens, und mein einziger Wunsch war, Gott so würdevoll wie möglich aufzunehmen, denn ich glaubte bereits bedingungslos an seine Gegenwart in dem heiligsten Sakrament. Ich erwartete ihn nicht gefühlsmäßig, sondern mit meinem besten Willen, tief durchdrungen von dem Ernst dieses Augenblicks.

Als ich zu meiner Gebetsbank zurückgekehrt war, mein Gesicht mit den Händen bedeckte und zu beten anfing — da wurde ich plötzlich von einem unerklärlichen Wirbel erfaßt, gegen den ich mich nicht wehren konnte. Ich fühlte, daß ich keine Kontrolle über meinen Körper hatte und verlor jegliches Bewußtsein für Raum und Zeit. Es war mir, als ob ich fliege und fliege, in einen sicheren, behaglichen Abgrund, und als ich anhielt, spürte ich deutlich und ohne Zweifel, daß zwischen mir und Herrn Jesus kein Abstand mehr war. Ich verspürte eine Liebe zu ihm, die mit nichts verglichen werden könnte. Ich hatte keinen Körper mehr und keine Seele; ich bestand nur noch ganz aus meinem Herzen und fühlte, wie sein heiligstes Herz das meine umgab.

Ich weiß absolut nicht, wie lange das gedauert hat. Sehr langsam kehrte danach mein Bewußtsein wieder zu mir zurück. Ich war voller Glück, denn ich hatte die Gegenwart Jesu Christi erfahren. Ich kann mich nicht erinnern, daß sonst noch etwas in mir gewesen wäre. Ich wußte, es gab keine größere Kraft als die, mit welcher Gott mich mit sich verbunden hatte. Ich fühlte, daß meine Seele unwiderruflich ihm gehört und wußte, daß mein Leben ausschließlich auf einer von ihm vorgezeichneten Linie verlaufen konnte. Und ich wollte es auch nicht anders.

Nach diesem Tage war es für mich eine Tortur, nicht wieder die hl. Kommunion empfangen zu können. Ich hatte diese Buße akzeptiert, ohne zu wissen, was sie für mich bedeuten würde. Als ich dann sah, wie die anderen jeden Morgen zum Tisch des Herrn traten, mußte ich weinen. Mein Verlangen war so groß, daß ich mich manchmal nicht beherrschen konnte und von der Gebetsbank aufstand, um voll unaussprechlicher Sehnsucht an den Altar heranzutreten. Wie glücklich waren doch diese Menschen! Wie ich sie beneidete!

Erst nachdem zwei Wochen vergangen waren, wurde mir die volle Gültigkeit dieser Buße bewußt, und ich lernte, diese vorübergehende Abstinenz ergeben zu ertragen.

Trotz der Befürchtung, mich lächerlich zu machen, die irgendwo in der Tiefe meines Wesens lauerte, fing ich an, die abendlichen Rosenkranzandachten zu besuchen. Ich konnte damals echte Frömmigkeit und Bigotterie gedanklich nicht voneinander trennen.

Einmal, als ich vor dem Altar kniete und das gemeinsame Rosenkranzgebet unbeholfen betete, erblickte ich in der Kirche eine meiner Schülerinnen, die meine früheren religiösen Ansichten kannte und sich auch nicht selbst durch besondere Frömmigkeit auszeichnete. Mir wurde heiß. Ich fühlte, wie ich errötete und verlegen wurde. Bevor ich noch denken konnte, verdeckte ich schnell den Rosenkranz und wollte so tun, als ob ich an dieser gemeinsamen Andacht überhaupt nicht beteiligt wäre. In diesem Augenblick erinnerte ich mich an unseren Herrn Jesus und an mein heiliges Mütterchen. Da wurde mir erneut heiß, nicht aufgrund der peinlichen Situation, sondern vor Scham und Reue.

Ostentativ fing ich an, die Perlen des Rosenkranzes zu verschieben und hatte nur noch den einen Wunsch, daß mich meine Schülerin so sehen sollte. Ich wollte auf diese Weise das, was ich gerade getan hatte, wiedergutmachen und widerrufen. Aber als ich mich dann umsah, war sie nicht mehr in der Kirche.

Die Reue, die mich in diesem Augenblick erfaßte, kann ich nicht beschreiben! Es war mir, als ob ich unseren Herrn Jesus und mein hl. Mütterlein verraten hätte! Wie gut konnte ich Petrus verstehen, der, nachdem er Christus verleugnet hatte, „bitterlich weinte“. Ich war so unglücklich! Es nützte mir nichts, daß ich in der nächsten Unterrichtsstunde diese Schülerin bewußt auf mein nunmehr verändertes Verhältnis zur Religion ansprach, das Gefühl der Schuld lastete schwer auf mir, und ich dachte, ich hätte mich durch diese Tat freiwillig von meinem so sehr geliebten König entfernt. Um ihn zu entschädigen, nahm ich dann umso intensiver an den Abendandachten teil.

Ich kannte überhaupt keine Kirchenlieder und hatte auch keine Stimme zum Singen. Da ich das wußte und eitel war, hatte ich vorher nie versucht zu singen. Danach wurde es mir jedoch zur größten Pflicht! Mit der ganzen Kraft meiner Kehle und dem ganzen Atem meiner Lunge machte ich es den anderen nach und paßte mich mit meiner Stimme ihrem Gesang an. Es störte mich absolut nicht, daß ich kaum jedes zehnte Wort des Textes kannte. Mit bedeutungslosen Silben füllte ich die Lücken aus und sang für die ganze Kirche. Es war mir vollkommen gleichgültig, ob ich bei den Betschwestern damit Entsetzen über meine Stimme oder Bewunderung für meinen Eifer erweckte! Von ganzem Herzen wünschte ich nur, daß mich mein Gott hörte, mit meiner ganzen Kraft und Leidenschaft wollte ich sein Lob aus mir herausschreien.

Ich konnte auch nicht ruhig bleiben bei der Vorstellung seiner Leiden. Sooft ich im Vorraum der Kirche am Kruzifix vorbeiging, schöpfte ich aus dem Weihwasserbecken Weihwasser mit meinen Händen und wusch damit die Wunden an der Seite, an den Händen und Füßen des Gekreuzigten. Der Anblick der Dornenkrone bereitete mir richtige physische Schmerzen; da sie jedoch befestigt war, konnte ich sie nicht abnehmen. Ich mußte manchmal warten, bis alle aus der Kirche hinausgegangen waren, denn ich wollte nicht, daß mich jemand bei diesem leidenschaftlichen Werk des Mitleids und der Liebe beobachtete. Ich dachte ständig an die Warnung meiner hl. Mutter, daß unser Herr Jesus sich aus meinem Herzen entfernen könnte. Schon bei dem Gedanken, ich könnte ihn durch die kleinste Sünde beleidigen, zitterte ich. Wenn man Gott liebt, gibt es keine große oder kleine Sünde. Es gibt nur die Sünde. Während dieser Zeit wurde mein Gewissen, aus geradezu übertriebener Befürchtung, so empfindlich, daß ich bei den gewöhnlichsten Tätigkeiten Gefahren witterte. Ich betete unaufhörlich — laut, wenn ich allein war, in Gedanken, wenn ich mich unter Menschen befand, beim Gehen, Essen, Reden, bei der Arbeit, sogar im Schlaf blieb ich mit meinem Herzen bei meinem Herrn Jesus.

Ungeschickt, weil ich darin keine Erfahrung hatte, begann ich gute Taten zu vollbringen. Angefangen mit unüberlegt großzügigem Austeilen von Almosen bis hin zum Malen von Festtagsgrußkarten für wohltätige Lotterien, deren Erlös freilich in keinem Verhältnis zu dem geleisteten Aufwand an Zeit und Mühe stand, bemühte ich mich auf jede erdenkliche Weise, den Menschen zu helfen. An einem kalten, regnerischen Abend sah ich auf der Straße einen jungen Menschen, der zwei schwere Koffer schleppte. Ich sah, wie er alle paar Schritte stehenblieb und sich schwer atmend etwas ausruhte. Bevor mir der Gedanke kam, daß ihm die von einer jungen, unbekannten Person angebotene Hilfe vielleicht unangenehm sein könnte, fragte ich ihn, ob ich die Koffer mit ihm zusammen tragen dürfe. Er lehnte natürlich ab und damals wußte ich nicht, warum.

Da ich die lange Abwesenheit meiner geliebten hl. Mutter nicht ertragen konnte und große Sehnsucht nach ihrem Anblick hatte, zeichnete ich sie auf jedem Papierfetzen, auf Heftumschlägen, auf dem gewachsten Tischtuch und sogar auf dem Marmor des kleinen Tisches in der Konditorei. Es bereitete mir manchmal große Mühe, diese Bildnisse wieder wegzuwischen, wenn ich mal eines beim Weggehen nicht zurücklassen wollte.

Ich machte mich daran, das kleine Bildchen von Mutter Helena mit Aquarellfarben größer zu malen. Obwohl, wie nicht anders zu erwarten, nur ein Geschmiere dabei herauskam, entschloß ich mich, da ich keine anderes Abbild meines hl. Mütterchens besaß, dieses weihen zu lassen. Dem Priester, den ich darum bat, gefiel mein Bild trotzdem so gut, daß ich ihm ein zweites malte. Das war dann schon eine Komposition von „höherem Grad“, denn neben meiner hl. Mutter war auch noch der Herr Jesus darauf zu sehen. Da jedoch die Kartonunterlage nicht groß genug war und mir erst kurz vor der Fertigstellung einfiel, auch noch Jesus dazuzumalen, mußte sich seine Gestalt mit den Ausmaßen einer Puppe zufriedengeben. Ich tröstete mich dann mit dem Gedanken, daß er sich, wenn er wolle, der hl. Magdalena‑Sofia in jeder Größe zeigen könne... Später, als ich dann schon ein authentisches Abbild meiner liebsten Heiligen besaß, wie sehr schämte ich mich meiner Schmierereien von früher.

8.12.1935

An diesem Tag ging ich wieder zu den hl. Sakramenten, nachdem ich bei Pfarrer N. gebeichtet hatte, und mit großer Sehnsucht erwartete ich den heiligen Besuch. Meine geliebte Betreuerin erschien mit einem freudigen Lächeln. In beiden Händen trug sie ein bläuliches Licht, von dem sich einzelne Strahlen lösten und in meinen Kopf eindrangen.

„Du darfst meine Hände küssen“, sagte sie und streckte beide Hände aus, die ich dann küßte. Sie beugte sich herab und küßte mich auf den Kopf. „Ich habe dir heilende Strahlen in meinen Fingern mitgebracht. Ich bin zufrieden mit dir und unser Herr Jesus ist es auch. Ich möchte bei deinem ganzen Enthusiasmus nur eine Sache richtigstellen. Du achtest den Samstag als den Tag, an dem ich bis jetzt meistens zu dir kam. Die Mutter Gottes schenkt mir ihre große Gunst. In ihrer Güte erlaubt sie mir, an ihrem Tag auf der Erde zu wirken. Der Samstag ist in Wirklichkeit der Tag der Mutter Gottes. Das wollte ich dir vor allem sagen. Und jetzt hör' zu: Ich werde an jedem Samstag, den ganzen Tag lang, bei dir sein. Du wirst mich nicht ständig sehen, aber du wirst oft spüren, was ich dir sagen will, und schnell eine Antwort finden. Fulla! Ich vertraue dir. Freust du dich? Du bist jetzt schon auf dem richtigen Weg. Du hast dem Herzen Jesu viel gegeben, und für jedes deiner Geschenke wird er sich mit einer Gabe erkenntlich zeigen. Ich danke dir, Fulla, daß du mich nicht enttäuscht hast. Vieles hing von dir ab. Du wirst noch einige Fehler an dir erkennen. Im Grunde deiner Seele hast du hin und wieder Lust, alles gründlich zu untersuchen. Ich will dich nicht tadeln, aber man muß mit dem menschlichen Verstand nicht alles erforschen. Ich liebe alle deine Malereien und Zeichnungen. Du mußt deine Hand noch etwas üben, und die Liebe wird dann alle Fehler beseitigen. Je mehr du liebst, desto schöner kannst du mich malen. Ich verhelfe dir zu zwei verschiedenen authentischen Abbildungen von mir. Ein Kind wie du sollte zuhören und stets auf seine Seele und seine Gesundheit achten. Es ist mein Wunsch, daß du täglich mit jemandem zusammen kurz betest ...“

„Ich möchte wissen, meine hl. Mutter, ob ich es jemals in meinem Leben schaffe, etwas zu deiner Ehre zu tun. Sag' mir, was kommt!“

„Das sage ich nicht. Ich weiß alles, was in Zukunft sein wird, aber ich kann es dir nicht verraten. So viele meiner Bestrebungen sind nicht durchgeführt worden. Mit der Zeit wird jedoch alles erfüllt. Am Samstag werde ich dir ein kurzes Gebet diktieren, das du täglich beten kannst. Ich bin dir näher als deine leibliche Mutter. Ich mag es, wenn du dich mit allem an mich wendest. Sei nur geduldig. Es kommt alles. Fulla, es kommt alles. Aber merke dir: Nicht einmal Gott, geschweige denn ein Heiliger, kann einem Menschen seinen Willen aufzwingen. In deinem Herzen muß sich alles herauskristallisieren und reifen ...“

„Und wenn ich sterbe, hl. Mütterchen, werde ich dann bestimmt bei dir sein?“

„Gerade deswegen bin ich zu dir gekommen. Kraft schöpft man im Herzen Jesu. Wenn es um irdische Dinge geht, darf der Mensch nicht stolz und selbstsicher sein, was aber heilige Dinge betrifft, muß man ein hohes Maß anlegen und nach dem Höchsten streben.“

„Wie könnte ich Maryla helfen, heiliges Mütterchen?“

„Ich sage dir nur soviel, daß sie ein edler Mensch mit einer guten Seele ist. Sie hat sehr wenig Unreines, ist aber furchtbar bedrückt durch irdische Dinge. Gott denkt an sie, und sie wird zu ihm gehören. Das Herz unseres Herrn Jesus wartet darauf, daß sie zu ihm zurückkehrt, aber ihr Wille ist nicht stark genug. Wenn du ihr helfen willst, Fulla, nimm sie sonntags mit in eine stille hl. Messe, bei der kein Andrang herrscht, denn das schreckt sie ab. Gott legt auf sie und auf andere große und kleine Kreuze. Anstatt sie sich zunutze zu machen, lassen die Menschen freiwillig immer größere Sünden in ihre Seelen ein. Sie wissen nicht, daß die Sünde die Gnade Gottes nicht zuläßt...“

„Meine hl. Mutter! Ich möchte über dich schreiben!“

Jedes Wort, jedes Aufleuchten, mußt du aufschreiben und daraus entsteht dann ein wunderschönes Ganzes. Sogar wenn du nachts aufwachst — du sollst jedoch schlafen! — schreibe. Naturgemäß hast du dann größere Ruhe, der Geist ist klarer und heilige Seelen haben dann Zutritt. Wenn du an deine Arbeit und an das Schreiben denkst, sei dein allererster Gedanke die Liebe zu Gott und zu den Menschen. Fulla, du bist noch ein wenig trotzig!“

„Heiliges Mütterlein, ist im Leben etwas vorbestimmt?“

„Jeder Mensch ist anders und hat seine eigene Bestimmung, aber die Menschen verstehen ihre Bestimmung falsch. Bestimmung bedeutet nicht, daß Gott den einen auf den Weg der Sünde, den anderen auf einen heiligen Weg, den dritten auf den Weg des Ruhms schickt. Schon das kleine Kind, wenn es auf die Welt kommt, hat alles in seiner Seele. Die ganze Macht, nicht den Willen. Du, Fulla, kannst sehr viel Gutes oder auch sehr viel Schlechtes tun. Nichts Mittelmäßiges. Das ist deine Bestimmung. Wenn du später andere Menschen betrachtest, wirst du sehen, daß sie wie ohne Bestimmung auf ihrem Weg gehen.“ „Nimm du nur meinen Willen, liebste hl. Mutter! Ich will nur das tun, was du von mir verlangst.“

„Nein. Niemand, nicht einmal Gott, kann einem Menschen seinen freien Willen nehmen. Das wäre Unrecht. Und jetzt noch eins: Warum ärgerst du dich und weinst, wenn du einen sündigen Priester siehst? Bete für ihn. Jesus hat Judas bei sich gehabt und gab ihm sein Blut. Er tat ihm leid, und er wollte ihn mit Liebe erweichen. Wenn ein Mensch auch nur ein bißchen liebt, dann kehrt er immer zu ihm zurück. Jesus betrachtet die menschlichen Sünden nicht als Richter, sondern als Lamm. Am stärksten schmerzt ihn der Unglaube. Unser Herr Jesus ist in höchstem Maße barmherzig. Wenn er mich nicht geschickt hätte, wäre ich nicht zu dir gekommen. Nichts geschieht ohne den Willen Gottes. Fulla! Die Mutter Gottes liebt dich, und auch du wirst sie sehr lieben. Du wirst sehen, wie sehr sich die Mutter Gottes von allen anderen Heiligen unterscheidet. Wenn ein Mensch sich, sei es auch nur in Gedanken, an den Himmel wendet, bittet die Mutter Gottes für ihn bei unserem Herrn Jesus, ohne auf Sünden zu achten. So sehr tun Tränen ihr weh. Sie ist so rein, daß sie keinen Schmutz sehen kann und nicht sehen will. Sie sieht nur die Absicht und die Tränen. Wenn es dein Wunsch ist, sie zu lieben, mußt du zum Kind werden, mußt du alles andere abwerfen und dich voll Vertrauen unter ihren Mantel flüchten.“

Bei diesen Worten hörte ich den beschleunigten Atem meines hl. Mütterleins. Ich sah, wie sich ihr Gesicht veränderte, sie sich dann zu mir beugte und meinen Kopf berührte ...

„Und jetzt werde ich dir etwas Schlimmes über dich sagen.“ sie drohte mir dabei scherzhaft mit dem Finger. „Du freust dich über das Unglück anderer.“

Ich wußte, daß die Heilige von einer bestimmten Jüdin sprach, die sehr gekünstelt auftrat und über die ich manchmal lachte. Diese Person zeichnete sich dadurch aus, daß ihr ständig und auf jeden Schritt irgendein „Unglück“ passierte, das nicht der Rede wert war und über das sie völlig ernsthaft berichtete.

„Es täte dir doch leid, wenn sie ein wirkliches Unglück treffen würde... Wenn du es wie ich machen willst, dann tue es auch, Fulla. Merke dir nur, wer etwas für Gott tut, der muß fürchterliche Schwierigkeiten überwinden. Wenn er davor zurückschreckt, kann Jesus ihm nicht helfen. Im Himmel herrschte große Freude über Fulla! Du hast Jesus aufgenommen und wolltest ihn nicht wieder loslassen. Ich will dich nicht loben, sondern will dich stärken. Ich sorge für dich, nicht wahr? Und bringe dich immer zu Bett. Bist du zufrieden mit mir?“, fragte sie und lachte verschmitzt. „Du bist meine Patientin, und bitte, sei folgsam und ergeben. Ach ja, Fulla. Wie war das mit deiner Buße? Ich weiß, daß du zwei Wochen lang große Sehnsucht hattest und dich dann ein bißchen daran gewöhntest. Jetzt, Fulla, gebe ich dir nichts auf. Wenn du möchtest und kannst, empfange unseren Herrn Jesus. Er erlaubt es. Und er erlaubt es nicht nur, sondern bittet darum, in deiner Seele zu sein. Seine Liebe ist groß! Er war es, der dich verändern wollte. Dein Verlangen nach Liebe war ebenso groß. Du hast schmerzhaft nach einem Ideal gesucht und warst verzweifelt. Und jetzt frage ich dich, Fulla — antworte vollkommen ehrlich, wie deiner lebenden Freundin, denn jetzt hört unser Herr Jesus zu, welche Liebe ist die glücklichere? Denn siehst du, jede Liebe kostet Kraft. Die Blume der Liebe wächst aus einem einzigen Kelch heraus, denn die Liebe hat eine einzige Quelle. Jede Liebe zehrt, nur die eine geht nach links, die andere nach rechts ...“ Meine hl. Mutter zeichnete mir das in der Luft mit leuchtenden Linien.

„Die, die sich nach links wendet, bringt eine faule Frucht und führt zu nichts. Aus der rechten entsteht ewiges Glück. Links — sieh her: (Ich sah in der Luft die Umrisse zweier Gestalten) du siehst bezaubernde Lippen, beim Lächeln weiße Zähne und im Schatten der Wimpern trübe Augen. Beide sind so schön wie Blumen und darin liegt eine große Kraft, aber dann verdirbt alles, wird schmutzig und abstoßend. Die Liebe, die sich nach rechts wendet — die andere Blume — wirkt nicht von vornherein so anziehend. Dafür wird sie von Augenblick zu Augenblick schöner, größer, wächst, entwickelt sich, und ihre Frucht, anstatt nach unten zu fallen und auf der Erde zu verfaulen wie die andere, erhebt sich in die Höhe. Sieh nur, wie sie strahlt.“

Ich sah eine kleine Pflanze, die offensichtlich wuchs und sich entwickelte. Dann ihre Blüte und schließlich eine ganz und gar durchstrahlte, leuchtende Frucht, die sich in die Höhe erhob und verschwand.

„Fulla! Du bist von allen Menschen der glücklichste. Weißt du, daß es unserem Herrn Jesus hilft, wenn du seine Wunden auswäschst? Was du jetzt durchlebst, nennt man Offenbarung.“

Nach diesen Worten war ich über alle Maßen erstaunt. Bis dahin dachte ich, daß nur Heilige Offenbarungen haben.

15.12.1935

Dieses Mal forderte mich mein heiliges Mütterchen gleich bei ihrem Erscheinen auf, Papier und Bleistift zu nehmen und diktierte mir auf die gewohnte Weise „unhörbar“ das folgende Gebet:

„Heiligstes Herz unseres Herrn Jesus, du ewige Flamme der Liebe Gottes, wir flehen dich durch deine ergebene Dienerin, die hl. Magdalena‑Sofia, an, laß uns ein wenig teilhaben an ihrem Verständnis deiner göttlichen Lehre von der Liebe zu Gott und zu den Menschen. Erlaube uns gemeinsam mit deiner geliebten Heiligen, deinen blutigen Spuren zu folgen, die tägliche Last des Kreuzes lautlos und ergeben zu tragen. Weise uns den Weg der Demut, auf dem deine reine Mutter, die heiligste Jungfrau Maria, gewandelt ist. Möge die Flamme der Liebe, die von deinem heiligsten Herzen ausgeht, schon bald die ganze Welt umfassen, trösten und beruhigen.“

21.12.1935

An diesem Tag erschien mir mein hl. Mütterchen in der Mitte des Zimmers, und langsam, Schritt für Schritt, kam sie näher. Ich sah, wie sich die Falten ihrer Tracht beim Gehen bewegten. Da ich an diesem Tag ausgesprochen niedergeschlagen und traurig war, wollte sie mich anscheinend erfreuen und sagte im voraus: „Fulla! Es wird eine Freude kommen, die noch kein Mensch auf der Erde erfahren hat. Und jetzt nimm einen Bleistift und schreibe!“ Nach Beendigung des Diktats, das ich während des Schreibens wieder nicht hörte, las ich wie folgt:

„Ich liebe dich beständig und sehe, daß du mich liebst, mein Kind, sehe, wie du kämpfen mußt — aber leider, Fulla — hast du noch deine irdische Hülle und mußt oftmals eine Niederlage erdulden. Warum willst du so auf der Stelle, in einem einzigen Moment, deine Gestalt und deine menschliche Natur fast völlig verändern? Du solltest die Last des Lebens nicht in diesem Maße spüren, da ich dir doch helfe. Gehe freudig weiter, was auch geschieht. Denke stets daran, daß du nicht allein bist und jemand sich um dich sorgt, jemand, der jetzt mehr vermag als damals, als er auf der Erde war. Du vergißt zu oft, daß du noch in der Welt lebst. Verschmähe nicht die Freundschaft von Menschen. Du kannst und solltest aus dem, was die Menschen dir bieten, das Beste herausnehmen, das, was dir deine so schön geschaffene Seele diktiert. Laß alles hinter dir, was die Sünde fördern könnte. Suche dir immer das Schönste aus, damit Jesus es lächelnd betrachten kann. Ich vertraue dir so sehr, und auch du solltest es glauben, daß fast alles, was Gott dir gegeben hat, von erster Güte ist. Früher wolltest du, noch unbewußt, diese Gaben ruinieren und entstellen, jetzt aber kannst du es nicht mehr, weil dir erlaubt wurde, so vieles zu kennen und zu wissen.

Fulla! Mach dir keine Sorgen darüber, was die Geistlichen sagen werden und wie sie sich dazu stellen. Du gehe überall mit reinem Herzen hin, Kleines, nimm die Demut vom höchsten Herrn an und mach dir um den Rest keine Gedanken. Ich weiß, was dir fehlt, weiß, was du herzlich gern loswerden möchtest, genauso wie ich weiß, was du dir wünschst. Sei ruhig und besonnen. Größere Bauten brauchen eine längere Bauzeit als kleine Häuschen. Du siehst selbst, wie sich deine eigene Natur auf wunderbare Weise durch das Wirken des heiligsten Herzens verändert. Sieh dich in der Vergangenheit an. Siehst du? Der ganze künstlich angebrachte Panzer auf deiner Seele ist in Stücke zerbrochen und niemand kann ihn wieder zusammenfügen. Erlaube unserem Herrn Jesus zu wirken. Für dich bleibt noch so viel zu tun. Du mußt selbst, mit deinem eigenen Willen, lernen zu leben.

Merke dir, Fulla, viele Heilige, und selbst unser Herr Jesus — als sie noch in der Welt unter Menschen lebten, nahmen Anteil an den menschlichen Sorgen, an ihrer Trauer und an ihren Hochzeiten, brachten ihnen Hilfe und Frieden. Durch die Menschen verewigten die Heiligen ihre Tugenden und die Tugenden ihrer Nächsten.

Manchmal fühlst du in deiner Seele eine Leere, trotz der Anwesenheit unseres Herrn Jesus. Kleines — überlege — du bist in der Verbannung, im Tal der Tränen und der Buße. Du und alle anderen Menschen auf der Welt, ihr befindet euch probeweise auf einer Irrfahrt, aber diese dauert nur kurz! Das geht vorbei. Hier wird die Leere nicht ausgefüllt, sondern der Himmel füllt die Seele nach Gottes gerechtem Urteil. Bleibe dem heiligsten Herzen beständig nahe, Fulla. Nichts soll dich von ihm trennen, weder bei Tag noch bei Nacht, trage es überall mit dir, liebe und vertraue ihm. Sei getrost. Handle langsam und sprich nicht zu viel. Sei wie immer. Wir gehen zusammen. Also fasse Mut und Vertrauen zu mir.“

Auf meine Klage über die Gefühllosigkeit, die mich zeitweise befällt, antwortete sie:

„Selbst die Heiligen hatten es an sich, daß sie nicht immer und in jedem Augenblick glühend bei der Sache waren. Man kann sich nicht auf der Stelle ändern. Du möchtest auf einmal in die Vollkommenheit hineinpassen wie ein Schlüssel ins Schloß. Ich will, daß du du selbst bleibst. In letzter Zeit bist du etwas aus dem Gleichgewicht geraten, du brauchst mehr Selbstsicherheit und Elan. Ich bin ununterbrochen bei dir, dessen kannst du sicher sein. Zu zweit geht alles besser als allein. Wenn dir einmal etwas nicht gelingt, freue ich mich, daß mein Kind trotzdem weitergeht. Nach jedem Mißerfolg reiche ich dir die Hand. Mir ist während meines Lebens nicht viel gelungen, erst nach meinem Tod. Was ich aufbaute, haben andere zerstört. Akzeptiere also demütig alle Schwierigkeiten. War ich nicht demütig, da ich zu dir auf die Erde kam? Sorge dich nicht darüber, daß du zu wenig gute Taten vollbringen könntest. Du strebst nach dem Außergewöhnlichen. Die Gelegenheiten für große Dinge werden noch kommen. Du möchtest gerne alle Möglichkeiten für dich selbst beanspruchen, dabei muß es doch auch für die anderen reichen. Manchmal ist es genug, zu sagen: ,Jesus, ich liebe dich!' Ein Gebet, ein guter Blick, nicht klagen, wenn etwas nicht gelingt, auch das sind gute Taten. Ich könnte vieles für dich bewirken, dir alle Trauer nehmen, dir bestimmte Dinge nahebringen, aber ich werde es nicht tun, weil ich dich liebe. Unser Herr Jesus hat es schließlich für dich so bestimmt und ich bestärke dich in deiner Ausdauer. Ich werde dir nicht von der Seite weichen, auch wenn du dich zeitweise abwenden solltest. Das wird jedoch nicht geschehen, ich sage das nur so.“

24.12.1935

Während der Weihnachtsmesse, als die Krippe mit dem Jesuskind enthüllt wurde, verspürte ich eine durchdringende Freude in meinem Herzen. Die mir dargereichte Hostie war erfüllt von einem seltsamen Schein, und nach ihrer Einnahme hatte ich das Gefühl, daß das Licht, das ich mit ihr zusammen aufgenommen hatte, warm war.

Es geschah manchmal auch danach, daß die Hostie in dem Augenblick, als der Priester sich vom Altar abwandte und „Ecce Agnus Dei ...“ sprach, in meinen Augen verschwand und ich an ihrer Stelle den Kopf Jesu Christi erblickte, schön und strahlend. Diese Erscheinung näherte sich mir dann zusammen mit dem Priester und verharrte über dem Kelch, bis ich die hl. Kommunion empfing.

28.12.1935

„Fulla“, sagte meine geliebte hl. Mutter an diesem Abend, „du hast eine kontemplative Seele und darin bist du mir ähnlich. Manche deiner Eigenschaften wären für mich nützlich gewesen. Wenn ich noch einmal leben würde, würde ich anders an die Gründung eines Klosters herangehen. Gleich zu Anfang übergab ich Gott meinen freien Willen und konnte mich dann dem, was er mir durch die Menschen zukommen ließ, nicht widersetzen. Deshalb brachte ich vieles nicht zu Ende, und vieles geschah gegen meine Absicht.“

30.12.1935

Auf die Frage von Mutter Helena, was meine hl. Mutter über das Kloster zu sagen hätte, brachte ich nach Sacre Cœur das folgende, mir so diktierte Schreiben:

„Es ist der Wunsch der hl. Mutter, daß ihre Töchter den Herrn Jesus genau kennenlernen wollen. Das ist möglich und für jede erreichbar, wenn sie gläubig und ernsthaft täglich einige Augenblicke freiwillig der Meditation über die Liebe seines Herzens opfert.

Oh, wenn ihr Frauen doch euren Willen kraftvoll auf den heiligen Weg der Wahrheit und Liebe Gottes richten wolltet, in kurzer Zeit würden sich dann Familien, Städte, Staaten — die ganze Welt verändern. Von der Liebe unseres Herrn Jesus geht die Liebe zum Nächsten aus, und in der reinen Atmosphäre der Liebe verliert sich jegliches Übel. Gebt euch daran und liebt das heiligste Herz, dann lernt die anderen zu lieben, und ihr werdet bereits hier, auf unserer Erde, die königlichen Gaben schauen. Seht euch um, wie zur Zeit jeder klagt, verzweifelt, wie Trübsal und Elend sich überall ausbreiten.

Warum ist es so? Es ist so, weil ihr alle vergessen habt, an wessen Stelle und für wen sich unser Gottmensch ans Kreuz nageln ließ. Ihr habt vergessen, daß er euch — die Menschen — liebte. Ihr wißt nicht mehr, was er euch lehrte. Ihr lehnt seine Liebe ab. Jetzt ist es an der Zeit, sich dies alles ins Gedächtnis zurückzurufen. Krempelt die Ärmel auf, um Gott im Guten zu dienen. Eure hl. Mutter wird euch vieles erleichtern und aufzeigen. Sie kann es mit Leichtigkeit, aus dem Bereich der Liebe Gottes heraus, in dem sie wohnt. Durch Gottes Erbarmen kann sie euch zu Hilfe kommen. Wenn ihr nur euren guten Willen entsprechend ausrichtet. Die in der Reihenfolge vierte Mutter Oberin hat viele Dinge ausgeführt, die der heiligen Mutter nicht gegeben waren.“

1.1.1936

„Heute wollen wir uns nur unterhalten“, sagte mein hl. Mütterchen und nahm meine beiden Hände in ihre.

„Darf ich dir Fragen stellen?

„Gut, mein Kleines. Die Menschen wissen so wenig. Sie haben das, was unser Herr Jesus ihnen über Liebe und Güte sagte, nicht angenommen. Wenn Gott der Herr einem von euch etwas von den Geheimnissen offenbart, sollte dieser auch andere damit veredeln, besonders die Geistlichen. Irgendwann, Fulla, wirst du etwas Wunderbares leisten können, und es wird deine Seele erfreuen. Aber noch nicht jetzt.“

„Die Menschen glauben so wenig an Wunder. Sie wollen es genau wissen und forschen.“

„Nicht einmal die weisesten unter den Menschen können die göttichen Geheimnisse ergründen. Gott tut nämlich was er will, und der Mensch hat den freien Willen, zu glauben oder nicht zu glauben. Er sollte sich jedoch verbeugen und sagen: Gott! Du bist groß!“

„Mütterchen, tut der Tod weh?“

„Nein. Der Körper verspürt keine Schmerzen. Der Geist hält sich in der ersten Zeit noch in der Nähe der Erde auf und die Sünden, die nicht vergeben sind, tun ihm weh.“

„Und wenn jemand verwirrt stirbt, weiß er nach seinem Tode, wer er war?“

„Ja. Und der Gedanke an sein vergangenes Leiden ist ihm eine Freude, denn es verringert das Leiden nach dem Tode.“

„Warum werden die Menschen wahnsinnig?“

„Gott nimmt ihnen zeitweise den Verstand, damit sie anderen schrecklichen Dingen entgehen oder damit sie nicht in der Sünde steckenbleiben. Während ihres Lebens leidet ihre Seele nur in den Augenblicken, in denen die Kranken bei vollem Bewußtsein sind.“

„Und was ist mit Träumen?“

„Im Schlaf entfernt sich die Seele zum Teil ins Jenseits. Sie läßt den Körper niemals erfahren, wo sie war. Es gibt armselige Geister, die dem Menschen während dieser Zeit, nur so zum Spaß, phantastische Träume eingeben, die oft gar keine Bedeutung haben. Es kommt vor, daß sie ihm üble und sündige Bilder unterschieben. Wenn sich dieser Mensch im wachen Zustand, bei vollem Bewußtsein, dagegen wehrt, kommt ihm die Seele, die nie den Kontakt zum Körper verloren hat, schnellstens zu Hilfe. Die volle Anwesenheit der Seele gibt ihm die Kraft, seinen im Schlaf ohnmächtigen Willen wieder zu beherrschen. Dasselbe geschieht, wenn der Mensch im Schlaf von schrecklichen, quälenden Visionen erdrückt wird. Dunkle Mächte wollen auf diese Weise die seelischen Abwehrkräfte des Menschen zu ihren Gunsten schwächen. Es gibt jedoch auch Träume, die eine wichtige Bedeutung haben oder prophetisch sind. Diese Träume werden von Gott eingegeben und gefördert.“

„Welche Bedeutung haben Behinderungen?“

„Jeder Behinderte weiß nach seinem Tode genau, warum er behindert war und vor welchen Dingen Gott ihn durch die Behinderung zu beschützen suchte.“

„Liebste hl. Mutter, magst du Maschinen?“

„Aha! Du willst eine Schreibmaschine haben. Ja, man muß mit der Zeit gehen, aber mit der Hand kann man auch vieles schreiben. Ich habe alles mit der Hand geschrieben. Ich mag keine Maschinen. Die Mechanisierung des Lebens, diese nichtswürdige menschliche Überheblichkeit und das Gewinnstreben, mir gefällt das alles nicht. Irgendwer denkt sich eine Maschine aus, setzt einen Mechanismus zusammen und nimmt den Handwerkern die Arbeit ab. Einmal reich geworden, benutzt er diesen Reichtum oft für schlechte und nichtssagende Zwecke. Auf diese Weise verlieren die einen ihre Arbeit, während die anderen die minderwertige und unvollkommene Qualität der Erzeugnisse beklagen. Ich mag keine Maschinen. Denk' nur, wie sinnlos sie sind. Bei der herrschenden Arbeitslosigkeit zerbrechen sich die Leute den Kopf über die Konstruktion eines Roboters, der wiederum für sie die Arbeit machen soll. Fulla, du bist erschöpft. Ich werde dein Gehirn etwas erfrischen, damit du wieder klarer denken kannst.“

Bei diesen Worten schöpfte mein hl. Mütterchen irgendein hellblaues Licht aus der Luft. Ich spürte, wie dieses Licht in meinen Kopf einfloß. „Fühlst du dich jetzt besser, Fulla? Denke nicht ständig an mich. Manchmal hältst du mich mit deinen Gedanken gewaltsam fest, so daß ich nicht so einfach fortgehen kann. Wenn du über mich sprichst, achte darauf, daß deine Worte nicht nur von deiner Begeisterung diktiert sind. Stell' dir vor, wenn ein Professor, der die Mutter Gottes liebt, während einer Vorlesung über Religion ständig ,Mutter Gottes, ich liebe dich, Mutter Gottes, ich liebe dich' sagen würde, würden ihn alle für verrückt halten. Bei wichtigeren Tätigkeiten sage nur: ,Hl. Mütterchen, ich komme und möchte bei dir sein, ich gebe mir Mühe, hilf mir' — das reicht.“

„Falls ich malen sollte, welchen Zeitpunkt aus dem Leben unseres Herrn Jesus sollte ich dafür wählen?“

„Am schönsten sieht unser Herr Jesus vor seinem Leiden aus. Sieh nur.“

Ich sah seine wunderschöne, helle Gestalt in einem weißen Gewand und Sandalen. Er war groß und stand aufrecht. Dann löste er sich auf, und ich erblickte die Mutter Gottes. Sie war groß, hatte eine klassische, etwas zu lange Nase, ovale dunkelbraune Augen, einen kleinen Mund, und ihr Gesichtsausdruck war sehr ernst und aufmerksam. Sie trug einen hellblauen Mantel und ein weißes Kleid mit hoher Taille.

„Wirst du sie so in Erinnerung behalten?“

Nachher sprachen wir über die Heiligen, über den Papst und die Priester. Meine heilige Mutter antwortete mir auf alle Fragen.

„Sei behutsam im Umgang mit den Menschen. Du wirst damit gut zurechtkommen, denn unser Herr Jesus schenkt dir die Fähigkeit zu erkennen, was gut ist. Er verlangt nicht viel, aber man muß ihm jeden Gedanken, jede Arbeit weihen. Arbeit sollte wie ein Gebet verrichtet werden. Die Liebe, die vom Himmel kommt, ist die einzige vollkommene und beiderseitige Liebe, bedenke aber: Diese Liebe verpflichtet. Lies gute, aber nicht nur religiöse Bücher. Philosophie führt zu nichts. Die Philosophen bekämpfen sich gegenseitig, jeder von ihnen schöpft von seinem Vorgänger und gibt den eigenen Werken dann nur eine neue Form. Bücher, die den Menschen etwas gute Heiterkeit bringen, sind besser.“

2.1.1936

Ich habe in der Zeitung gelesen, daß irgendein Verbrecher gehängt worden ist. Daraufhin fragte ich meine hl. Mutter, ob er nun verdammt sei. Sie erklärte mir, daß Jesus Christus nicht so urteile, wie wir es hier tun. Eine Sünde kann schwer oder leicht sein, es kommt auf den an, der sie begeht. Unser Herr Jesus sieht den psychischen Zustand eines Sünders, erwägt erbliche Belastungen, die Umwelt, die Umstände, summiert alles und spricht dann erst das Urteil.

Ich durchlebte jetzt eine seltsame Phase. Nach Jahren des Wartens, der Sehnsucht und Leere, war ich jetzt bis auf den Grund meiner Seele berauscht durch all das Wunderbare, das auf mich zugekommen war. Ich war sehr verwirrt, überrascht, und ich liebte so sehr, daß ich nicht anders als mit dem Herzen an diese Dinge herangehen konnte. Der Weg, den ich gehen sollte, um mein Ziel zu erreichen, war so wundervoll, daß ich eben dieses Ziel vergaß. Schmachtend gab ich mich meinen inneren Erlebnissen hin und genoß die Glückseligkeit und unaussprechliche Wonne, die zeitweise meine Einsicht, daß es eigentlich so nicht sein sollte, verdeckte. Ich wollte immer nur haben und haben und haben; nichts anderes als diese Gefühle, ohne etwas dafür zu geben. Es war deshalb meine Schuld, daß die Dankbarkeit, Bewunderung, Liebe und Verehrung, die ich für meine so geliebte Heilige empfand, statt mich vorwärtszubringen, meinen inneren Fortschritt und die beabsichtigte Selbstaufgabe nun zu erschweren begannen. Ich verlor mich selbst in dieser Liebe. Ich hatte damals noch nicht begriffen, daß Gott sich in seiner Barmherzigkeit denen, die für ihn auf irgend etwas in ihrem Leben verzichten oder für ihn dem Leben selbst entsagen, mit eben diesen unbeschreiblichen inneren Zuständen der Glückseligkeit auf dem beschwerlichen und langen Weg der Vervollkommnung — für die ganze Entsagung — erkenntlich zeigen will. Es war mir noch nicht bewußt, daß all die Freuden des Geistes, die dem Menschen nur helfen und ihn erquicken sollen, nicht etwa das Ziel sind! Sie sollen für ihn nur das sein, was für den in glühender Hitze beim Bau einer Landstraße beschäftigten Arbeiter ein Schluck frisches, kühles Wasser ist. Ich wußte damals noch nicht, daß man beim Arbeiten nicht nur an dieses Wasser denken darf. Daß man die Belohnung und Erfrischung nicht zu sich nehmen darf, ohne zu arbeiten. Das habe ich alles nicht verstanden und aus diesem Grunde diktierte mir meine hl. Mutter am 4. Januar folgende Worte:

„Ich möchte dir dringend sagen, daß du noch einmal von dir aus ein Opfer bringen mußt, wenn du mein geliebtes Kind sein willst. Ich komme nicht deshalb so oft, damit du steckenbleibst. Man muß nicht steckenbleiben! Du mußt dein Gleichgewicht wiedererlangen, das heißt, du mußt dir folgendes bewußt machen: Bei jedem Eintreten in eine neue Sphäre, eine Sphäre der Vervollkommnung des Geistes, mußt du fühlen und spüren, was unser Herr Jesus von dir fordert. Vor einigen Tagen war ich bei dir und spürte Erschöpfung. Ich verspürte deine Erschöpfung. Ich muß dich zum Ausruhen bewegen. Fulla, mein liebes Kind! Ich verhelfe dir zu mehr innerer Ruhe. Die Gegenwart unseres Herrn Jesus wirkt in einem Menschen völlig anders, auch wenn sie uns bei Tag und bei Nacht zieht, und die Sache verhält sich anders, wenn ständig und ohne Unterlaß irgendein bereits verstorbenes Wesen, auch wenn es eine heilige Nonne ist, deine Gedanken, deine Seele und dein Herz ausfüllt. Ich wünsche mir, daß du diese Angelegenheit, so gut es geht, für dich in Ordnung bringst, und zwar in der nächsten Woche. Aus diesem Grunde werde ich solange nicht herkommen. Solltest du es nicht selbst schaffen, wäre ich gezwungen, dir die entsprechenden Stunden für alles zu bestimmen. Den Rest sage ich dir abends.“

4. 1.1936, abends

„Du kannst doch denken und überlegen. Ich weiß, du hast mich soweit verstanden, daß du schon am Sonntag anfangen kannst, meine Wünsche für diese Woche zu erfüllen.

Außerdem sage ich dir noch, daß alle menschliche Intelligenz auf der Welt zwei grundsätzliche Kraftanstrengungen unternehmen sollte für das ewige Leben: Sie soll nur Gott den Herrn wirklich lieben! Weiter nichts! (Der hl. Augustin hat das gut verstanden) Der Kraftaufwand für das irdische Leben ist schwieriger, komplizierter. Die Welt — das sind die Menschen. Man muß mit Güte und Freundlichkeit an sie herantreten, mit Verständnis und Vergebung, mit viel Zeit und großzügig, ohne Dankbarkeit zu erwarten, mit Rat und Hilfe, mit der Kunst, Streit und Zwiespalt zu schlichten, ihre Trauer und Verzweiflung zu mildern.

Beim Eintritt in die Existenz, Fulla, braucht man unbedingt Glauben, Energie, Geduld und Verständnis. Darüber hinaus Klugheit, die Kunst, zu gefallen, Selbstsicherheit und Gesundheit. Vergiß nicht, mein Kind, daß es noch andere sehr wichtige Dinge gibt wie Pünktlichkeit, Pflichtbewußtsein und Vertiefung des Fachwissens. Die vorgenannten Eigenschaften können unterstützt werden durch Regelmäßigkeit beim Schlafen, Essen und beim Vergnügen. Ja, Fulla. Man muß gegen Widerstände ankämpfen. So und nicht anders ist die Welt erschaffen. Man darf aus falscher Furcht vor dem Unbekannten nicht flüchten und faulenzen. Das ist der verkehrte Weg der Faulheit, die die Sünde fördert. Wenn du eine Arbeit gern machst, betest du damit zu Gott. Gott der Herr kennt und sieht dich. Bleibe ihm gegenüber stets ein Kind. Hier brauchst du weder Klugheit noch Philosophie. Diese sind für die Menschen. Gib Gott nur Liebe.“

Die nächste Woche hindurch setzte ich all meinen Willen und mein Herz ein, um meiner Heiligen zu gehorchen. Um in mir die unpassende Gier nach inneren Eindrücken auszurotten, beschloß ich, diese ganze Woche lang auf die Freuden zu verzichten, die der Gedanke an sie, das Betrachten ihres Abbildes, die Erinnerung an ihre Worte für mich bedeuten. Ich bemühte mich nur das zu tun, was meinem Herrn Jesus, also auch ihr, gefallen könnte. Mit größter Anstrengung unterwarf ich mich der äußeren und inneren Disziplin und erlaubte mir nicht die kleinste Abweichung.

Die ersten drei Tage hindurch weinte ich zwar, benannte aber auch vor mir selbst nicht den Grund für diese Tränen. Obwohl ich in dieser Hinsicht keine Bedenken hatte, rief ich mein hl. Mütterlein nicht ein einziges Mal bewußt um Hilfe an.

Nach einer Woche schaffte ich es schließlich, die Sehnsucht und die fruchtlosen Versenkungen in die eigenen Erlebnisse zu beherrschen. Dadurch, daß ich mir meinen vorhergehenden Fehler bewußt machte und mich davon überzeugte, daß man diesen Fehler in sich bekämpfen kann, erlangte ich einerseits die Freude durch den Sieg, andererseits jedoch hatte ich nun doppelt so viel Verantwortung für alle meine zukünftigen Verfehlungen.

11.1.1936

An diesem Tag kam, nach einer ganzen Woche der Abwesenheit, meine Heilige wieder zu mir. Gleich zu Anfang sagte sie, sie werde mir beibringen, Menschen zu heilen.

„Je größer deine physischen und geistigen Kräfte, desto mehr wird es dir gelingen, verschiedene Krankheiten durch Berührung zu heilen. Erzähle im Kloster noch nichts davon. Du wirst selbst fühlen, wann du damit anfangen kannst. Weißt du, unser Herr Jesus wollte nicht immer Wunder vollbringen und die Heiligen konnten es nicht immer. Wenn du sie um Hilfe bittest, wirst du wissen, ob du sie auch bekommst. Fulla, geh' etwas eher zu Bett.“

12.1.1936

In der Nacht waren zwei seltsame Gestalten bei mir. Ich fühlte, daß es böse Geister sind und fürchtete mich vor ihnen. Ich wußte nicht, was sie von mir wollten. In mir verkrampfte sich alles aus unfaßbarer Angst. Ich begann deshalb, inständig zu beten, damit sie verschwanden.

Morgens, auf dem Weg zur Kirche, überlegte ich, daß ich bestimmt etliche Sünden begangen habe und aus diesem Grunde heute nicht zur hl. Kommunion gehen sollte. Als ich in der Kirche ankam, war ich nicht fähig, zu beten. Es war mir, als ob Jesus Christus sich von mir abgewandt hätte, als ob meine Gebete dumm, nichtig und nutzlos seien. Irgendeine unheimliche Kraft hinderte mich daran, an die Kommunionbank heranzutreten. Ich verließ deshalb die Kirche, irrte bis zur Mittagszeit durch die Straßen und konnte mich nicht beruhigen. Mit erschreckender Klarheit wurde mir meine ganze Unvollkommenheit, wurden mir meine Fehler und Schwächen bewußt. Ich wußte zwar, daß die Gnade Gottes für jeden Hilfe bereithält, konnte sie jedoch nicht rufen. Und anstatt mir Mühe zu geben, diese plötzliche geistige Ohnmacht zu überwinden, verfiel ich ihr immer tiefer. Meine Verzweiflung kannte keine Grenzen, als ich dachte, daß meine geliebte hl. Mutter möglicherweise niemals mehr zu mir käme, weil ich Jesus Christus nicht empfangen habe. Sie kam jedoch noch am selben Abend und diktierte mir die folgenden Worte:

„Der Weg, der zu unserem Herrn Jesus führt, ist immer gerade. Ich wußte, daß du gut erschaffen bist, nur war die künstliche Kruste schon zu dick geworden, und deine Seele konnte nicht mehr atmen. Ich kam, beobachtete dich mit der Liebe Jesu Christi, und jetzt werfe ich den wertlosen Plunder, der sich in dir angehäuft hat, weg. Man muß immer vorwärts gehen — nie stehenbleiben; denn dieses Stehenbleiben ist eine unnatürliche Anstrengung. Mögen deine Schritte ausgeglichen sein, wie die Schritte unseres Meisters, wie jede seiner Zuwendungen an bedauernswerte Menschen. Deine Liebe sei gut und aufrichtig, wie die Liebe, die ich für das Glück eines geliebten Wesens empfinde. Jede Regung deines Herzens und jede deiner Taten sollen unseren Herrn Jesus und dich selbst erfreuen. Wo Güte herrscht, da gibt es keine Traurigkeit und keine Verzweiflung. Merke dir, Fulla, wenn dein Wille so ist, daß du aufrichtig danach strebst, mit deinen Taten ganz Gott dem Herrn zu gefallen, wirst du dieses Ziel sicher erreichen.

Zuweilen fühlt der Mensch sich trotz seiner ganzen Mühe erbärmlich, unfähig und so klein, daß er sich schämt, ernsthaft zu denken. Solch ein Zustand stammt für gewöhnlich von Gott und ist oft eine Reaktion auf sehr großes Selbstvertrauen. In solchen Augenblicken sollte man sich nicht um Ungewöhnliches bemühen, denn auch das Gewohnte kann mißlingen. Man soll das gleiche tun wie ein Kind, wenn es sich schämt und müde ist: entspannen und sogar schlafen. Erst später soll man darüber nachdenken und sich fragen, warum wollte mich der gute Jesus an meine Mittelmäßigkeit erinnern? Du wirst immer feststellen, daß der Mensch noch unvollkommen ist. Ich weiß, daß du mein Kommen heiß ersehnst. Möge also diese, in ihrer Art einzige geistige Visite für dich, mein Kind, von Vorteil sein. Ich war zufrieden mit dir, auch wenn du mich nicht richtig verstanden hast. Vielleicht sollte ich dir das erklären. Nimm zu diesem Zweck ein Notizheft und schreibe darin jeden Tag systematisch auf, welchen Gewinn du aus der Erkenntnis von Wahrheit hattest.

Ist diese Erkenntnis hilfreich oder störend im praktischen Leben?

Ist es schwierig, den Nächsten zu lieben?

Ist es möglich, gut zu sein?

Was bedeutet für dich Demut?

Sollte man arbeiten, und warum?

Wie soll man die herzliche Zuwendung eines Mitmenschen schätzen?

Welchen Nutzen bringt die Herrschaft über sich selbst und sein ,Ich'?

Wann benötigt man Stolz und Ehrgeiz?

Du kannst eigene Fragen hinzufügen und sie mir beantworten. Ich werde an jedem Samstag begradigen, was dir verändert vorkommt. Schreibe nur dann, wenn der richtige Zeitpunkt dafür da ist, d. h. wenn es dir leicht fällt, zu denken. Schreibe nicht viel, nur direkt, ehrlich, wahrhaft und nicht ausschweifend. Denke so, mein Kind: In vier Monaten bin ich ein neues Wesen, ein Kind Gottes. Die heiligste Mutter nimmt ein williges Kind an die Hand und führt es, wenn es sich nicht losreißt, belehrt es — wenn es wissen will, rettet es, wenn es ihr vertraut, heilt es, — wenn es krank ist, erheitert es, wenn es traurig ist, stärkt es, wenn es schwach ist, bittet ihren Sohn um Vergebung, wenn es sündigt ...

Liebe die Mutter Gottes, schmiege dich an sie. Sie hat dich und deine Absichten in Tschenstochau gesehen. Sie hat schon früher dein Gebet gehört: ,Gedenke, o gütigste ...' Um alle Gaben für dich bitte ich zuerst sie, die uns aus Liebe ihren Sohn geopfert hat.

Manchmal bist du wie ein Kind. Mach dir keine Gedanken darüber, ob mir das eine oder das andere gefällt. Ich schätze deine guten Absichten, dein leidenschaftliches Herz und die Liebe, die du schon gut ausgerichtet hast. Gott ist gerecht und treu. Er enttäuscht niemals. Am Ende krönt er jede kleinste Mühe, die man ihm erwiesen hat, mit gutem Lohn und hoher Ehre. Wahrscheinlich werden wir uns wohl fühlen miteinander. Gott ist groß und allmächtig und besiegt alle bösen Mächte. Ich verabschiede mich von dir, mein Kleines. Sei ruhig und schweigsam.“

16.1.1936

Gegen zwölf Uhr in der Nacht wurde ich plötzlich wach. Mit überraschender, gewaltiger Kraft erfaßte mich die Liebe zu meinem Herrn Jesus. Ich fühlte, daß ich ihn über alles liebe — über alles! Es war nicht mehr der Gedanke an Liebe, sondern es war die Liebe selbst – lebendig, flammend — und ich empfand sie mit meinem ganzen Wesen.

Und da sah ich, in ungeahnter, geradezu unrealer Ferne, die Gestalt Christi. Sie war verschwommen und aschgrau. Ich strebte zu ihr, mit einer Sehnsucht, die schmerzlich und zugleich wunderbar süß, einer Sehnsucht, die überwältigend war, die meine Seele aus mir herauszuschleppen schien.

Jesus der Herr näherte sich langsam. Er schwebte von weitem heran, immer klarer, heller und näher.

Gleichzeitig verspürte ich, wie mich eine Welle von durchdringender Hitze und Ohnmacht erfaßte, zuerst an den Füßen. Ich erstarrte, je mehr sich Jesus mir näherte. Dieses Gefühl kann man nicht beschreiben. Ein freudiges und vertrauensvolles Sterben, ein wundersam süßes Erstarren, etwas, das man nur mit einem höchst wonnevollen, höchst süßen, unendlich beglückenden Tod vergleichen könnte.

Mein Herr Jesus war mir schon ganz nah. Ich sah sein leuchtendes, ernstes, wunderschönes Gesicht. Mir war, als müßte dieser Rausch aus Liebe, Sehnsucht und Verzückung mich jeden Augenblick erschlagen, mich blenden und vernichten. Ich spürte meinen Körper nicht mehr. Es gab weder das Licht, noch gab es mich, noch dieses heilige, leuchtende Gesicht ganz in meiner Nähe.

Und dann wußte ich nichts mehr von mir. Was seit diesem Zeitpunkt mit meinem Bewußtsein geschah, könnte ich nur als eine seltsam unpersönliche, höchst glückliche, höchst erfreuliche und vollkommene Vereinigung mit Jesus Christus umschreiben.

Es gab nur ihn — aber irgend etwas wußte noch, daß er da war ...

18.1.1936

Meine hl. Mutter teilte mir mit, das, was ich letzte Nacht erlebt hatte, eine Ekstase war, und daß wir beide für eine Weile im heiligsten Herzen Jesu geweilt hätten. Unser Herr Jesus schenkt dann eine Ekstase, wenn in der Seele nicht der Schatten einer sündigen Absicht zu finden ist.

„Fulla! Fürchte dich nicht vor Problemen. Ich mußte auch mit ihnen fertig werden. Ich hatte zu vielen Dingen nicht den Mut, das weiß ich jetzt. Ich vollbrachte viele Wunder und hatte einen intensiven Kontakt zum Jenseits, aber ich schwieg. Was das Schweigen betrifft, mache ich dir keine besonderen Auflagen.“

Ich besuchte jetzt oft das Kloster. Ich wußte, daß die Nonnen stets mit großem Interesse den Erzählungen über ihre hl. Stifterin entgegensahen. Ich erinnerte mich daran, wieviel Güte und Geduld Mutter Helena mir stets erwiesen hatte, und erzählte ihr deshalb besonders häufig und ausführlich von meinem hl. Mütterchen. Sie nahm alles ergriffen und gläubig auf, fragte mich nach Einzelheiten und bat sogar ab und zu, ich solle meiner Heiligen diese oder jene Frage von ihr stellen.

Seit langem lag mir schon eine bestimmte Sache auf dem Herzen und ich beschloß endlich, sie zur Sprache zu bringen. Seit dem Erscheinen meines hl. Mütterchens, seit dem Tage, als ich sie so lieben lernte, schmerzte mich die Tatsache, daß man im allgemeinen so wenig über sie sprach und wußte. In keiner unserer Kirchen stand ihr Altar. Als ich in Buchläden nach der Lebensgeschichte der hl. Magdalena‑Sofia fragte, sagte man mir, daß man außer dem „Inneren Leben“ nichts da habe und in dem Geschäft mit Devotionalien fragte man mich, als ich um Bilder von ihr bat, ob eine Heilige mit diesem Namen überhaupt existiere. Dabei wurde die hl. Magdalena‑Sofia in demselben Jahr heiliggesprochen wie die hl. Teresia vom Kinde Jesu! Nur konnten die Karmeliter einige Jahre später dafür sorgen, daß ihre „kleine große Heilige“ bereits in der ganzen Welt bekannt war. Wieviel Liebe und Dankbarkeit hat sie mit ihrem „Rosenregen“ für Gott erwirkt! Und mein heiliges Mütterlein? Wie konnte sie erhören, wenn sie nicht gebeten wurde? Wie konnte sie vermitteln, ohne daß man sie anrief? Dabei hatte sie den so innigen Wunsch, die Seelen dem heiligsten Herzen nahezubringen!

Als ich im Kloster dieses für mich so dringende Anliegen vorstellte und meine Idee von der Herausgabe von Bildern nach einem Originalfoto, das ich inzwischen erstanden hatte, äußerte, wurde das Ganze wärmstens aufgenommen und erörtert. Es zeigte sich leider, daß die Mittel des Klosters die Kosten einer Reproduktion nicht decken konnten. Mir war diese Sache jedoch so wichtig, daß ich mit größter Freude für das erste Honorar, das ich für meinen Unterricht erhielt, eine größere Anzahl Bilder machen ließ. Auf ihrer Rückseite stand, gemäß der deutlichen Anweisung meines heiliges Mütterchens, das Gebet, das sie mir am 15. Dezember diktiert hatte.

Alle, an die ich diese kleinen Bilder später austeilte, begegneten meiner Heiligen äußerst herzlich und vertrauensvoll. Nur einmal wurde ich mit der Frage überrascht, aus welcher Sphäre die hl. Magdalena‑Sofia wohl herkomme. Darauf ließ sie selbst mich antworten, sie komme etwa aus derselben Sphäre wie unser Herr Jesus. Ein anderes Mal äußerte jemand Bedenken, ob eine Heilige, die so demütig gelebt habe, nach ihrem Tod überhaupt bekannt und berühmt werden wolle. Die Antwort meiner hl. Mutter lautete: ,Jesus der Herr war in höchstem Maße demütig ...“

Im allgemeinen jedoch wurde mein hl. Mütterlein so aufgenommen, als hätte man schon seit langem auf sie gewartet.

19.1.1936

„Ich grüße dich, mein liebes Kind! Sei in meiner Gegenwart stets ganz gelöst und ruhig. Du hast alle Fragen begriffen, die ich dir gestellt habe. Dir fehlt nur noch etwas mehr Ruhe bei deinen Aktivitäten. Du möchtest mir manchmal zu schnell, manchmal auf eine allzu kindliche Weise zu Gefallen sein, und es gibt da kleine Mißverständnisse. Das macht aber nichts. Aus deinen guten Absichten entsteht niemals Schlechtes.

Ich sagte dir bereits, was du machen sollst, wenn du jemandem sein Leiden erleichtern willst, aber jetzt sage ich dir: Warte damit lieber noch, bis du genau verstanden hast, wie du es tun sollst, Fulla.

Du bist selbst darauf gekommen, auf welche zwei Fragen es mir am meisten ankommt: Demut und Nächstenliebe. Denke darüber nach. Das wird für dich von großem Vorteil sein. Man muß den Unterschied zwischen wahrer Menschenfreundlichkeit und vorübergehendem Enthusiasmus, zwischen Schwäche und Sentimentalität erkennen. Denke daran, die größte Sanftmut lehrt uns der Herr Jesus. Die Schwester der Sanftmut ist die Demut. Beide haben ihren Ursprung im Herzen. Fulla, du warst mir ja so nah letzten Donnerstag. Wir waren beide gleichzeitig für eine Weile glücklich in dem heiligsten Herzen. Das Glück, das du erfahren hast, hat die heiligste Mutter für dich erbeten. Liebe sie dafür.

Ich bin bei dir und segne dich, liebes Kind. Du bist jetzt schon nicht schlecht und willst immer noch besser werden. Du sollst dir deshalb keine schlechten Dinge einreden. Du bist nur so sehr anders als alle anderen. Irgendwann wirst du erfahren, warum es so ist ...

Es gibt Menschen, die sehr selten etwas Gutes tun, und da sie auch nicht viel Schlechtes tun, sind sie damit zufrieden. Sie ähneln einem verwilderten Baum, der keine Frucht und keinen Nutzen bringt. Wie angenehm und nützlich ist dagegen ein schöner Apfelbaum, der die volle Last der Früchte trägt. Würde man ihn verurteilen, selbst wenn einige seiner Früchte faul oder wurmstichig wären? So ist es, Kleines. Gott sieht, wieviel Gutes der Mensch in seiner Seele gespeichert hat, wenn sie aber leer ist oder nur Schlechtes enthält, was könnten wir dann Gott geben? Gottes Barmherzigkeit ist groß, auch für den schlimmsten Sünder, aber ,die Barmherzigen werden Barmherzigkeit erlangen'. Es ist nicht nötig, eifrig nach guten Taten Ausschau zu halten. Wenn sie sich jedoch von selbst zeigen und anbieten, soll man sie vollbringen. Der Friede und die Gnade des heiligsten Herzens sei mit euch...“

21.1.1936

„Ich grüße dich wieder, mein liebes Kind! Das Pflänzchen der Demut, das Gott so gern hat, ist in deiner Seele aufgegangen und entwickelt sich. Pflege es gut. Das Herz unseres Herrn hat deine Seele mit himmlischem Lichtschein erhellt. Du hast die Wahrheit gesehen, hast vieles verstanden und bist demütig. Unser Herr Jesus hat sich das schon seit langem gewünscht. Wer aus Liebe zu Gott Demut annimmt, den wird Gott zur Größe erheben. Was du auch immer von Gott empfängst, das bewahre und behüte, auf daß es nicht verkommt.

Ich will, daß du in dieser Woche über das Leiden meditierst. Du gehst zu Zosia X., und sobald ihr allein seid, lies ihr alles vor, was ich dir heute sage. Es ist nur für sie bestimmt. Man darf es nicht herumerzählen. Ihre Leiden sind manchmal sehr groß; sie könnte damit nicht nur ihre eigene Schuld abbüßen, sondern auch den Seelen einiger ihrer verstorbenen Verwandten eine große Hilfe sein und Erlösung bringen. Sie kann leiden. Mögen Glaube und Liebe ihr helfen, daß sie es schafft, diese Leiden Gott zu opfern, für sich und andere. Jesus liebt sie, und sie hat das richtige Verständnis für Liebe. Sie wäre in diesem Gefühl fähig, sich ganz zu opfern, für einen armseligen Menschen: Der gute Herr Jesus ist ihr nah — liebt sie — wartet. Er liebt sie — also schickt er dem schwachen Kind Leiden, erschüttert die Seele, weckt sie, ruft die Vergangenheit in ihr Gedächtnis zurück. Er ebnet den Weg zum heiligsten Herzen. Weißt du, mein Kind, du hast Zosia das Bild von mir gegeben, sie schätzt es und ist gläubig, und deshalb werde ich ihr zu Hilfe kommen. Ich werde rechtzeitig zu ihr zurückkommen und ihr ein Schreiben dalassen, das nur sie allein lesen soll. Erzähle ihr ein bißchen, Fulla, wie meine Besuche bei dir aussehen. Ich möchte ihr verlassenes Herz trösten, ihr etwas Freude schenken. Nimm sie bei der Hand, beruhige ihre Nerven in meinem Namen, und mögen die Ruhe und der Friede ihr dann erhalten bleiben.

Wer meine Hilfe wünscht, soll das kleine Bild von mir weihen und über seinem Bett aufhängen. Dann soll er sich mit seinen Problemen vertrauensvoll an mich wenden. Meditiere eine Woche lang über das Leiden, Fulla. Denke daran und schreibe alles auf, was dir dazu einfällt. Am Donnerstag um elf Uhr in der Nacht komme ich wieder. Falls dir dann noch etwas unklar ist, werde ich es dir am Sonntag vormittag erklären. Lebe wohl, ich gebe dir Ruhe und bringe dich dem heiligsten Herzen näher!“

23.1.1936

Meine hl. Mütterlein ließ mich meine geliebte, verstorbene Zdzisia sehen. Sie kam aus dem Kreis der Freude, schön und glücklich. „Tante Fulla,“ sagte sie, „der Himmel ist der Erde nah ...“ — und entschwand. Dann fragte mich meine hl. Mutter: „Wenn der Herr Jesus mich dir wegnehmen würde, würdest du ihn dann noch genauso lieben?“ Mir stockte der Atem. Ich schwieg. „Liebe ihn um seinetwillen — nicht für mich.“

25.1.1936

Ich hatte seit dem Morgen schlechte Laune und schämte mich dessen. Darum flehte ich mein hl. Mütterchen an, sie möge nicht zu mir kommen, denn ich war nicht nur dessen unwürdig, sondern auch schlecht. Sie kam trotzdem in der Nacht, drückte mich zärtlich an sich, beruhigte meine Nerven.

Als ich jedoch am nächsten Morgen wach wurde, war meine Stimmung noch mehr gesunken, und nach dem Empfang der hl. Kommunion bekam ich Zweifel, ob es berechtigt gewesen war, sie zu empfangen. Ich geriet in Verzweiflung. Bestürzt und voll Wehmut über mein eigenes Elend wünschte ich, Gott möge meine Seele auslöschen, daß nicht eine Spur mehr von ihr zurückbliebe. Als meine hl. Mutter am Abend wieder zu mir kam und sah, daß ich, von Trauer erdrückt, nicht sprechen konnte, diktierte sie mir:

„Ich grüße dich wie eine Mutter, mein liebes Kind, und muß dich tadeln. Merke dir, Fulla, du wurdest zur Existenz geschaffen und gehörst Gott dem Vater, und nichts und niemand kann deine Seele vernichten. Die Seele ist beständig und ewig, der Mensch kann sie nur freiwillig einem bösen Geist überlassen.

Ich bin doch so sichtbar zu dir gekommen und habe dir schon so oft gesagt, daß ich mit deinem Einverständnis eine gute Mutter für dich sein will. Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was eine gute Mutter ist, Kleines? Wenn eine Mutter gut ist, muß auch das Kind gut sein. Es muß ihr vertrauen, sie lieben und ihr gehorchen. Du wirst selbst sehen, daß es dir immer zum Guten gereicht. Du verstehst deine gute Mutter noch nicht ganz, sie will dir nicht die Tränen in die Augen treiben, will deine Natur und deinen Charakter nicht ändern, sie möchte dir nur das Herz erwärmen, ähnlich dem heiligsten Herzen, damit es dir leichter fällt, alle überflüssigen Hemmungen abzuwerfen, die dir bei deinem Streben nach Vollkommenheit und Reinheit deiner seelischen Kräfte und deiner Sinne im Wege stehen. Auf diesem neuen Weg zu dem wahren Ziel hast du schon einen großen Schritt vorwärts getan. Geh' nicht wieder zurück, liebes Kind! Der Fall von oben ist leichter. So eine Fahrt zurück, das ist ein halsbrecherischer und gefährlicher Weg. Nachher ist es beschwerlich und langwierig, wieder umzukehren. Unser Herr Jesus liebt dich, wir lieben dich beide, aber ein böser Geist wünscht deinen Untergang. Sei nicht trotzig, Kind. Der böse Geist nutzt jede Gelegenheit, dich von der himmlischen Gnade zu trennen, er läßt dich deine Seele in einem trostlosen Zustand sehen, damit du am Ende aufgibst und den verlierst, der den Himmel für dich geöffnet hat. Vertraue, wie immer, auf unseren Herrn Jesus, und nage nicht an deiner eigenen Seele. Es ist eine große Anmaßung, wegen eines Sturzes gleich zu verzweifeln, während der barmherzige König bei dir zu Gast ist. Es ist verständlich, wenn die Sorge um das liebste, heiligste Herz dich plagt, aber woher kommt diese Wehmut? Wer war denn jemals ohne Sünde auf der Welt, außer Jesus und seiner Mutter? Ich bin um deinetwillen zu dir gekommen. Wohin und zu wem wolltest du dich flüchten? Versuch' jetzt erst einmal eine Weile allein zu gehen, aber achte auf dich. Solange du durch eigene Bemühungen nicht wenigstens einen deiner Fehler losgeworden bist, solange werden meine Besuche bei dir kürzer sein. Ich bereite dir Unannehmlichkeiten. Ertrage geduldig diese Buße und dann bist du befreit. Vertraue mir. Es fällt mir schwer, dich zu bestrafen, ich tue das nur zu deinem Besten. Ich verabschiede mich von dir und empfehle dich der heiligsten Mutter.“

Als ich vor Gram über meine Schuld und die mir auferlegte Strafe heftig weinte, wartete mein hl. Mütterlein eine Weile und diktierte mir dann:

„Morgen wirst du mich besser verstehen und dich beruhigen, weil du mich liebst. Dein Schmerz beunruhigt deine Nerven und deshalb bringe ich dir als Geschenk für morgen, daß du Frieden hast und demütig über die Liebe Jesu Christi und deine eigene nachdenken kannst. Du wirst sehen, wie all die böse Macht angesichts der Fülle von Liebe für dich und dein ewiges Glück schmilzt. Sieh dir an, wie groß die Liebe Gottes des Schöpfers zu den Menschen ist, welch großes Glück der Herr denen, die ihn lieben, bereitet hat. Für deinen starken Herrn Jesus ist es nicht wichtig, daß du auf diese irdische und kindliche Art mit dir selbst kämpfst. Es ist gut, wenn du schnell wieder umkehrst und dich der bösen Macht nicht unterwirfst. Mein Herz ist erfüllt von Liebe zu dir, zu deinem Gelingen, zu dem Abwenden schlechter Einflüsse, zu allem, was dich angeht. Ich liebe dich von Herzen und leide mit dir, wenn deine Seele sich selbst bekämpft. Jetzt mußt du erst einmal ruhig, überlegt, gut und fleißig sein. Ich war dir nicht böse, ich fühlte nur die Trauer und den Schmerz unseres Herrn Jesus, verursacht durch deine Hartnäckigkeit. Mach ihn nicht traurig, Fulla! Und wenn es dir gelingt, dann vermehre nicht deine Schuld durch deinen Widerstand und widersetze dich nicht seiner heiligen Gnade. Laß uns das heiligste Herz lieben, das uns auf ewig liebt.“

Inzwischen war ich zum ständigen Beichtkind des Priesters X geworden. Er wußte von meinen Visionen, denn ich sprach gelegentlich bei der Beichte davon. Er zeigte sich lebhaft interessiert und sehr zugetan. Er erlaubte mir, von seiner Bibliothek Gebrauch zu machen und ermunterte mich zur literarischen Arbeit im religiösen Bereich.

Als er jedoch alle meine Notizen zu diesen Visionen von mir verlangte, lehnte ich — da ich von meiner lieben hl. Mutter keine eindeutigen Weisungen darüber erhalten hatte — mit der Begründung ab, daß ich als sein Beichtkind nur verpflichtet sei, ihm meine Sünden und Zweifel zu bekennen. Da ich mich ständig, bei fast jedem Schritt, in der Obhut meiner geliebten hl. Mutter wußte und ihre Ratschläge und Hinweise nutzte, die sich sowohl auf das geistige Leben als auch auf alltägliche Dinge bezogen, verspürte ich überhaupt nicht die Notwendigkeit, die zuweilen heilsame und wohltuende Erleichterung in Anspruch zu nehmen, die man hat, wenn man alle seine Erlebnisse mit dem Beichtvater teilt. Hochwürden X akzeptierte meinen Standpunkt und wir berührten dieses Thema dann nur noch ab und zu außerhalb des Beichtstuhls.

Ungefähr zu dieser Zeit sagte mir mein hl. Mütterlein auch, daß mein belgischer Betreuer wirklich Kardinal Mercier sei. „Lange hat er bei den Menschen und bei seinen Zöglingen nach einer Natur wie deiner gesucht“, fügte sie hinzu. Und als ich sie dann bat, mir mehr über ihn zu erzählen, hörte ich: „Er möchte das nicht. Er will, daß du dich selbst bemühst, etwas über sein Leben zu erfahren. Er versprach, dir dabei zu helfen. Wende dich an die Ossolineum‑Bibliothek.“ Das erste Buch, das ich dort erhielt, waren seine „Hirtenbriefe“. Ich wußte, daß ich darin das Bild des Autors fände. An die subtile Schönheit meiner geliebten hl. Mutter gewöhnt, fürchtete ich — ganz menschlich und etwas kindlich — sein Aussehen könnte mich enttäuschen. Ich zögerte deshalb mit dem Umblättern, als ich mich jedoch überwunden hatte und zum ersten Mal in dieses würdevolle, intelligente und schöne Gesicht sah, verspürte ich diesen mir bereits bekannten wunderbaren, außergewöhnlich starken Strom, der mich ganz ergriff. Heftige Erregung schnürte mir die Kehle zu. Wenn die Leute im Lesesaal nicht gewesen wären, hätte ich losgeweint. Fieberhaft begann ich das Vorwort zu lesen. O Gott! Dieser große Held des letzten Krieges, Patriot, Soldat und Priester, dieser Gelehrte, Führer und großartige Staatsmann, Stolz der Kirche und Belgiens, dabei demütigster Diener der höchsten Gnadenüberbringerin — er war mein Betreuer! Ich sollte ihn sehen und mit ihm sprechen, wie mit meinem hl. Mütterlein!

Als ich an diesem Tag eine Straße überquerte, fuhr ein Autofahrer mit hoher Geschwindigkeit beinahe auf den Gehsteig auf, direkt vor mir. Mein hl. Mütterchen ergriff meine Hand und rettete mich in letzter Minute. Ich sah sie einen Augenblick lang völlig deutlich und verspürte einen starken Stoß nach rückwärts.

22.2.1936, Mein Geburtstag

„Ich komme gleich bei deinem Eintritt in das neue Lebensjahr zu dir, damit du mit mir zusammen die neue und schönste Phase deines Lebens beginnen kannst. Die nächsten beiden Jahre werden die wichtigsten für dich sein. Es wird eine Zeit der Erschütterungen und des Erwachens deiner Seele sein. Du sollst keine Dämme aufstellen. Vertiefe deine Tugenden, die bereits sehr schön keimen, sei stets aktiv und bereit, denn du hast in diesem Jahr viel zu tun. Es ist ein Jahr des Umbruchs. Zwei größere Probleme kommen auf dich zu. Sie werden dich etwas niederdrücken, sei aber ganz ruhig, denn ich bin stets bei dir und gemeinsam, praktisch Hand in Hand, werden wir die dunklen Zeiten überstehen. Andererseits kommt mehr Freude auf dich zu, als du es erwartest. Du sollst mutig vorwärtsgehen, Fulla, sollst neue Bekanntschaften schließen, achte auf dein Äußeres, also auf deine Kleidung, dein Verhalten. Dies alles kommt dir sehr zugute.

Das Band der Liebe, das uns miteinander verbindet, ist unzerreißbar. Das Ende und der Anfang befinden sich im heiligsten Herzen Jesu. Mein und Gottes geliebtes Kind! Der Segen Gottes fließe auf deine ergebene Seele und dein Herz herab. Wenn Jesus Christus, unser geliebter Erlöser, morgen in deine Seele eingeht, möge er sie erleuchten, erwärmen und mit Liebe füllen. Möge er dich nicht einen Augenblick lang verlassen, nicht nur das nächste Jahr über, sondern dein ganzes Leben hindurch. Ich wünsche dir, daß der Heilige Geist, den du im Sakrament der Firmung empfangen wirst, dir keine der sieben Gaben versagen möge. Die heiligste Mutter möge dir gnädig erlauben, sie besser kennenzulernen, und möge sie geneigt sein, dir etwas von ihren heiligen Tugenden zukommen zu lassen. Ich liebe dich, mein liebes Kind, und werde nicht aufhören, für dich zu sorgen. Aber denke daran, Fulla, daß dein Wille hierbei wichtiger ist als alle meine Wünsche, wichtiger sogar als meine ganze Liebe. Du mußt wollen, glauben und lieben; liebe den weiten Himmel, liebe die Erde und die Menschen, die Werke des Schöpfers, tue Gutes, verbreite Heiterkeit, Freude, Linderung. Ich wünsche dir außerdem, daß du mir mehr und mehr gefallen mögest, denn dann wirst du auch all denen gefallen, die du brauchst.“

23.2.1936

„Die Fastenzeit naht heran. Unser Herr Jesus durchleidet den Kreuzweg und sieht, wie seine unermeßliche Liebe in die Herzen der Menschen eingeht.

Wehmütige Ruhe und Stille erfülle die Seelen derer, die ihn lieben. Was können wir dem Herrn geben — ihm, der sein überaus heiliges Blut bis zum letzten Tropfen hergab, um uns vor der ewigen Verdammnis zu retten? Laßt uns, die wir ihn lieben, ihm unsere liebenden Herzen darbringen. Wir wollen keinen Lärm machen, denn der gute König leidet. Laßt uns ruhig werden in allem, im Sehen, im Hören, im Essen, im Sprechen, und am meisten im Sündigen. Damit geben wir unserem geliebten Jesus viel, wir geben auch für jene Unglücklichen, die sich durch ihren Willen zum bösen Tun verleiten ließen. Dadurch lindern wir sein seelisches Leid. Die heiligsten Augen unseres Herrn werden sich an unserer Liebe erfreuen, wenn sie sehen, daß wir ausdauernd und wachsam sind und nicht einschlafen. Das Herz unseres Herrn Jesus fühlt, lebt und belohnt. Sein Leiden und Kreuz mögen beständig in unserem Bewußtsein bleiben, die ganze Fastenzeit hindurch. Laßt uns die Reue für unsere Sünden und für die Sünden unserer Mitmenschen Jesus Christus geben. Geben wir ihm unsere eigenen reinen Seelen und erwarten wir so, lautlos, die Auferstehung!

Du und Bucia, ihr sollt die ganze Fastenzeit hindurch täglich das Gebet „Der du für uns gelitten hast“ sprechen. Danach, wenn ihr beide wieder unter Menschen seid, verhaltet euch leise, ernsthaft, ruhig. Du sollst nicht hungern, Fulla, nur nach der Vorschrift fasten. Bucia soll, zum Gedenken an die fünf Wunden Jesu Christi, an Freitagen nicht mehr als fünf Zigaretten rauchen, sie soll keine Kaffeebohnen kauen und freitags zum Abendbrot die ungeliebte Polenta essen.

Und nun, Kleines, sage ich dir, welches Opfer du unserem Herrn Jesus aus Liebe bringen kannst. Du kannst wählen: Entweder du verzichtest die ganze Fastenzeit hindurch auf meine Besuche oder du schenkst ihm jede Woche an drei Tagen (Mittwoch, Freitag, Samstag) ein mehrstündiges absolutes Schweigen. Suche dir das aus, mit was du auf eine größere Annehmlichkeit verzichtest. Jesus Christus wird dieses Opfer schätzen. Unabhängig von deinem Entschluß werde ich bei sehr wichtigen Angelegenheiten an Sonntagen hier sein.

Geh' zu den Bußandachten ins Kloster. Verzichte in dieser Zeit auf Gedichte und auf jede erfreuliche Arbeit. Ich empfehle euch dem leidenden Erlöser. Begleitet ihn auf seinem Leidensweg und erwartet mit ihm die Auferstehung von den Toten.“

25.2.1936

„Habe ich mich denn für immer von dir verabschiedet, mein geliebtes, weinendes Kind? Denke daran, wie lange wir beide noch zusammen sein werden — ganze Ewigkeiten. Können wir denn nicht die wenigen Augenblicke Jesus Christus ganz opfern? Laß uns beide gleichzeitig dieses Opfer bringen, dann können wir zusammen zu Füßen unseres geliebten Erlösers und seiner heiligsten Mutter sein.

Unsere Herzen werden sein heiliges Opfer miterleben und wir wissen, daß die Augen des Gemarterten auf uns ruhen und unsere aufrichtige Reue und Buße sehen werden und dann werden wir in unseren Seelen seine Stimme vernehmen, die voll Barmherzigkeit spricht: Wahrlich, ich sage dir, noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein.

Kleines, weißt du überhaupt, wie die göttliche Güte und Barmherzigkeit aussieht? Der Erlöser selbst wird dir seine heiligen Arme entgegenstrecken, wenn du nach dieser kurzen irdischen Wanderung einschläfst, um für die Ewigkeit aufzuwachen. Das ist die einzige und …
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geringstes Rädchen

Besuche aus einer anderen Welt: Offenbarungen an Fulla Horak (Kapitel 2)