@Darwinist: „Gelenkte Demokratie“
Der Begriff ist in der Tat schief, weil jede Demokratie gelenkt wird und gelenkt werden muss. Es ist deshalb sinnvoll, den Begriff der Demokratie von verschiedenen Richtungen aus zu betrachten.
Thomas von Aquin betrachtet in der kleinen Schrift „über die Herrschaft der Fürsten“ die verschiedenen Staatsformen ganz in der Tradition des Aristoteles. Da gibt es sechs Formen von der Monarchie, Aristokratie und Politie über die Demokratie, Oligarchie zur Tyrannei. Man muss sich das zweidimensionale Matrix vorstellen. An der einen Achse steht, ob die Menschen an das Gute glauben oder eben nicht. An der anderen Achse steht die Anzahl der Herrscher von einem, über wenige hin zu vielen. In dieser Matrix ist die Herrschaft des einen (Monarchen) solange die beste aller Staatsformen, als die Menschen von einem gemeinsamen Glauben an das Gute getragen sind. Sobald aber dieser Glaube zusammenbricht, verwandelt sich die Herrschaft eines Einzigen in die schlimmste aller Staatsformen, die Tyrannei. Aus diesem Grund folgt dann die Betrachtung, dass, wenn die Menschen den Glauben an das Gute verlieren, von den schlechten Staatsformen, die Herrschaft der Vielen, also die Demokratie, die beste ist, weil sie die schlimmste von allen Staatsformen, die Tyrannis, verhindert.
Der zweite Aspekt kommt aus der Betrachtung des politischen Konfliktes in einer Zeit des Umbruchs. Wenn neue Eliten (wie das moderne Bürgertum) an die Macht streben, dann müssen sie die alten Eliten schwächen und dazu deren Herrschaft diskreditieren. Es kommt zum Krieg der Götter und Kulturen. In solchen Zeiten wird der Staat immer auf die Sekundärtugenden setzen, also auf den formalen Umgang der Menschen miteinander, denn besser als das Chaos eines 30-jährigen Bürger- und Religions-Krieges ist die formale gegenseitige Toleranz immer. Und anders als der amerikanische Freiheitsbegriff sind für uns deshalb Begriff wie Ordnung, Pünktlichkeit, Fleiß substanzielle Begriffe, da wir wissen, dass man auch im Namen der Freiheit umgebracht werden kann und der Schwedentrunk ein Long-Drink ist.
Aus der Notwendigkeit staatlicher Toleranzpolitik folgt dann zuletzt auch eine Neudefinition des Gottesbegriffes. Der gläubige, noch an das Gute glaubende Mensch, kann Sätze sagen, wie „Gott ist ...“ und dann folgen Attribute, Eigenschaften. Der skeptische Mensch kann diese Eigenschaften Gott nicht mehr zuordnen, sondern muss vielleicht sogar sich widersprechende Eigenschaften beschreiben, um darzustellen, dass Gott sich solcher Eigenschaftszuweisungen durch den Menschen entzieht. Er nicht berechenbar, das heißt, dass der Mensch ihn nicht den Berechnungen seines Willens und Wollens unterwerfen kann. Tatsächlich aber ist die Art wie wir von Gott sprechen immer auch eine politische Frage. „Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde“, ist eine "politische" Kampfansage gegen die (auch) als Himmelsgestirne gedachten Götzen und Götter in der Zeit Abrahams, etwa dessen Streit mit Nimrod (im Koran) oder die Rede Achiors im Buche Judith, auf die Augustinus besonders verweist.
Mit der Neuzeit und dem Aufstieg des Bürgertums hat Martin Luther eine bis heute bestimmende Neudefinition des Gottesbegriffes durchgeführt, indem er in der Freiheit des Christenmenschen die allgemeine Priesterschaft (und implizit der Gottessohnschaft) annimmt. Damit beginnt aber auch eine allgemeine Obrigkeitschaft des modernen Menschen, denn wie jeder fortan für einen Glauben selbst verantwortlich ist so auch für seine Staatlichkeit. Den Unterschied sehen wir gut im Vergleich zwischen Müntzer und Luther. Die Obrigkeit ist für beide von Gott, aber daraus folgt für Thomas Müntzer eine Bindung der Herrschaft an einen Auftrag, und wenn die Herrschaft nicht mehr im Sinne des Auftrages ausgeführt wird, dann geht der Auftrag an das Volk zurück. Dieselbe Stelle bei Paulus im Römerbrief zitierend, gibt es für Luther kein Widerstandsrecht, bestenfalls ein sich seiner Obrigkeitspflicht entziehen in die innere Emigration. Denn, wir sind Obrigkeit.
Gelenkte Demokratie ist ein schiefer Begriff, weil er da eine „fremde“ Steuerung impliziert, aber mit Luther und der allgemeinen „Priesterschaft“ sind wir alle Obrigkeit. Das heißt heute Zivilgesellschaft und das Ergebnis ist eine Art Konsensdemokratie, in der jeder von uns so handelt, als ob er für das Ganz verantwortlich sei. Friedrich Engels hat dazu einmal bemerkt, dass die Resultierende des Wettstreits widerstreitender Interessen das sei, was keiner gewollt habe. In der calvinistischen Sicht des Wettbewerbs am Markt finden wir die umgekehrte Sicht, dass genauer dieser Wettstreit widerstreitender Interessen, wie von der unsichtbaren Hand Gottes geführt, das beste aller Ergebnisse bewirkt.
In Deutschland ist die gelenkte Demokratie nicht die Frage einer Pressure-Group („Manipulation“), sondern eine innere Haltung. Auch spielt in der aktuellen Diskussion „Demokratie“ eigentlich keine Rolle, und zuletzt ist mir der Begriff ernsthaft mit Willy Brandt in der Wahl von 1972 begegnet und hatte so seine Tücken. In der aktuellen Diskussion erleben wir vielmehr eine Verschärfung des Krieges der Götter an der Frage, das Christentum als reine Sohnesreligion umzuformen und aus dem Vaterunser ein Ichunser zu bilden. Orthodoxe Juden, der Islam und die russisch-orthodoxe Christenheit werden diesen Weg nicht mitgehen (können) und das westliche Christentum, selbst die katholische Kirche, ist tief gespalten. In diesem Streit wird unser Staat wie seit dem Ende des 30jährigen Krieges gut tun, sich neutral zu verhalten und auf die Sekundärtugenden zu achten, um so den Krieg vor den Toren unserer Zivilisation zu halten. Bisher hat dieser „deutsche“ Weg funktioniert, aber es gibt Irre an verantwortlicher Stelle, die uns ins Verderben ziehen möchten. Auf der anderen Seite weckt die psychologische Mobilisierung zum Krieg mit Hilfe sogenannter christlicher Werte bei vielen tatsächlich gläubigen Menschen die Hoffnung, es ginge um eine Stärkung des Christentums (durch Abwehr des Bösen). Diese Hoffnung ist trügerisch.
PS: Charles Darwin „Die Entstehung der Arten“ habe ich mir mal als Lektüre verordnet. Mal sehen.