Christ sein nach Albert Keller SJ.
Dies ist das Interview, das BR Alpha Forum mit dem führenden jesuitischen Philosophen Albert Keller SJ geführt hat. Hier wird sehr deutlich, wie das Christentum nach modernem katholischen Denken aufzufassen ist: Als Befreiungsbewegung für Nicht-Christen. Die Kirche ist berufen, den Fernstehenden die Frohe Boschaft zu verkünden, nicht die Gemeinschaft der Gläubigen zu hüten. Im Übrigen ist die verantwortete Freiheit das oberste Gut. Dazu ein Ausschnitt vom Ende des Interviews:
Keller: Mir scheint, dass man sich auch in diesem Fall einmal wieder auf die
Urbotschaft des Christentums besinnen sollte. [] Die
Ebenbildlichkeit Gottes besteht nun einmal darin, dass der Mensch frei und
vernünftig ist. [] Alle Ordnungen und alle Normen müssen dem untergeordnet sein. Was widervernünftig ist oder sich gegen die Freiheit richtet, ist gegen diesen ursprünglichen Ansatz.
Küpper: Das heißt natürlich nicht, dass man der Willkür folgen soll.
Keller: Selbstverständlich, denn die Freiheit würde unter der Willkür ja leiden. Aber die Freiheit muss sich die Ordnung immer selbst geben:Wenn man der Freiheit die Ordnung nur von außen überstülpt, dann wird die Freiheit eingeengt. Das ist genau das, was Christus z. B. auch in der Auseinandersetzung mit dem Alten Testament voran gebracht hat: Er hat doch diese bloße Gesetzesgläubigkeit attackiert, dieses reine Starren auf die Normen und Vorschriften, die zu 1000 Prozent eingehalten werden
müssen. Er hat immer wieder gesagt: "Ihr achtet die Gesetze, aber ihr
vergesst dabei den Kern, nämlich die Nächstenliebe." Denn genau das
wäre ja die Erfüllung dieses Gesetzes. So etwas bedeutet natürlich auch
eine enorme Befreiung. [] Stattdessen muss es letztlich immer um den Menschen gehen. So ist es durchaus begründbar zu sagen: Das Gebot besteht darin, so frei wie nur möglich mit dem Gebot "Liebe deinen Nächsten" in eins zu gehen. Man kann nämlich gar nicht frei sein, wenn man sich nicht für Menschen einsetzt. Wenn ich dann sage, dass das eigentlich das Grundgebot des Christentums sei, dann ist das Christentum in dem Sinne eine Befreiungsreligion von Anfang an. Wir verkennen hier freilich abermals von der Sprache her das Problem: Wir hören einfach aufgrund der Gewohnheit nicht mehr das Ursprüngliche heraus, nämlich dass "Erlösung" "los machen" heißt, dass das ein Freisetzen bedeutet. Es geht also nicht um ein Unterjochen oder um ein Eingezwängt-Sein in irgendwelche Gesetze. Es ist stattdessen ein grundchristlicher Ansatz, die Menschen frei zu machen.
Diese Aussagen Kellers (Jg. 1932) sind schwierig für eine Gemeinschaft, die Riten und Gebräuche, sowie Lebensweisungen ihrer nächsten Generation zu übermitteln hat. Wenn sich jeder in seiner Freiheit seine eigene Ordnung geben soll, kann diese Gemeinschaft allenfalls noch eine gebrochene sein.
Aber mehr noch, wird hier ein sehr traditionelles, ja anti-jüdisches Bild vom Verhältnis des Christentums und zum Alten Testament gegeben, das besagt, Christus habe von der Gesetzesreligion befreit. Wie ist die Sache denn zu bewerten, wenn bekannt gemacht wird, das die Nächstenliebe ebenso eine Lebensweisung ebendieses alttestamentlichen Gesetzes ist, eben aus Levitikus Kap. 19?
Nein, die Freiheit stellt sich eben nur ein im persönlichen Hineinwachsen in die guten, lebensfördernden Lebensweisungen des Herrn, die uns in Schrift und Vernunft offenbart werden. Das ist die Weisheit des Gesetzes Christi und Moses gleichermaßen. Der Streit Christi geht nur um die Priorisierung der Gebote, nicht um die Errichtung einer neuen, eigenen Ordnung aus der eigenen Freiheit heraus!