Tina 13
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1. DIE MAIANDACHT

1. DIE MAIANDACHT
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Man ist über den Ursprung dieser rührenden Andacht nicht einig. Mehrere schreiben sie dem heiligen Philipp Neri zu, der um das Heil der Seelen so besorgt und so eifrig war, den Kult der erhabenen Gottesmutter überall zu verbreiten. Dieser Heilige, der die Jugend ganz besonders liebte, hatte bemerkt, dass der Maimonat für die jungen Leute der gefährlichste Monat des Jahres ist. Trostlos darüber, dass er das Feuer ihrer Leidenschaften nicht im Zaum halten konnte, betrachtete er sie mit Rührung, die Augen voller Tränen. Schließlich verfiel er auf den heiligen Gedanken, zur Königin der Jungfrauen seine Zuflucht zu nehmen, und das jugendliche Alter während des Monats Mai unter ihren mütterlichen Schutz zu stellen. Zu diesem Zweck gab er den jungen Leuten Verhaltensregeln, wie sie diesen schönen, ihrer Unschuld so gefährlichen Monat heilig zubringen könnten. Er empfahl ihnen, der Mutter Gottes vor ihren Bildern, Bildsäulen und Altären fromme Huldigungen darzubringen, er verordnete tägliche Andachtsübungen, ununterbrochenen Besuch der Heiligen Messe und des christlichen Unterrichts, öfteres Gebet in Verbindung mit Tugendübungen und gottseligen Werken, endlich eine allgemeine oder besondere Kommunion im Laufe oder am Schluss des Monats und Hingabe an die allerseligste Jungfrau. Die glücklichsten Erfolge krönten seine frommen Bemühungen, und dieser Monat, der sonst so gefährlich war, hauptsächlich in Italien, wurde ein Monat des Heils, der Blüten und Früchte des Heils trug, die die Kirche erfreuten.

In Italien also, diesem bevorzugten Land, wo die Religion ihren Thron hat, und wo die erhabene Gottesmutter die rührendsten Huldigungen empfängt, hat die Marienandacht im Maimonat, wodurch der schönste Monat des Jahres dem besten und schönsten der Geschöpfe geweiht worden ist, seinen Ursprung genommen.

Dieses Gefühl, dass die Kinder der allerseligsten Jungfrau bewogen hat, ihr jeden Samstag des Jahres zu weihen und sie dreimal des Tages zu ehren, hat ihnen den heilsamen Gedanken eingegeben, ihr auch einen ganzen Monat zu widmen. Und weil man, als eine Weihegabe für eine Person, die man liebt und verehrt, das Beste und Angenehmste auswählen muss, so haben sie den schönen Maimonat gewählt, der durch die Erneuerung der Natur und durch die liebliche Vielfältigkeit der Blumen, womit die Erde sich bedeckt, die Seele einzuladen scheint, auch der Gnade wieder geboren zu werden und sich mit hohen Tugenden zu schmücken, um daraus gleichsam eine Krone zu winden für die Königin des Weltalls.

Die Maiandacht verbindet durch anmutige Lieder den blütenreichsten, freundlichsten Monat des Jahres mit dem Lieblichsten, Nachsichtigsten, unserer Schwachheit Zugänglichsten, was der Himmel nach Gott besitzt, und mit dem Unschuldigsten und Reinsten, was die Erde bietet. Sie ist ein der Jugend gebotener süßer Genuss, um sie durch den Reiz heiliger Festlichkeiten und melodischer geistlicher Gesänge von den ausgelassenen Freuden und unsittlichen Liedern abzulenken.

Diese zarte Andacht zu Maria ist für treue Herzen eine reine und überreiche Quelle von Gnaden und Gunstbezeugungen. Sie heiligt die schönste Jahreszeit und erhält die fromme Seele inmitten der Zerstreuungen, die sie umgeben, in heiliger Sammlung.

Diese Andacht, durch die Früchte der Gnade und des Heils, die sie hervorgebracht hat, in Aufnahme gekommen, hat die Meere überschritten und ist heutzutage unter dem Schutz der Kirche, die sie durch zahlreiche Ablässe befördert hat, allgemein, katholisch geworden.

Die Maiandacht besteht nicht bloß in Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien, Deutschland, England, Irland, Rom, Neapel und allen Teilen Italiens, sie wird an den äußersten Grenzen des Erdballs gehalten und gefeiert.

Der Maimonat ist der Monat der heiligen Freuden. Er ist der Monat, wo die Natur Maria den Kelch ihrer schönsten Blumen aufschließt. Für sie entfalten sich die purpurnen Rosen, die Lilien unserer Täler, der fruchtbare Weinstock. Die Mädchen schmücken in diesem Monat ihre Altäre mit ihren Lilasträußen und blühenden Weißdornzweigen.

Im Talgrund neben dem alten Felsen, am Ufer des klaren Bächleins hat die fromme Schäferin der Königin der Jungfrauen ihren ländlichen Altar errichtet. Ihr seht daran nicht Marmorsäulen, nicht vergoldetes Tafelwerk, wohl aber findet ihr blumige Auen, dichtbelaubte Bäume, die ihm einen angenehmen Schatten geben, als den unserer glänzendsten Tempel. Ihr hört da nicht die wohlklingende Musik unserer großen Städte, aber ihr genießt die Ruhe der Felder. Ihr werdet da beim Anbruch des Tages das Gezwitscher der Vögel und den Lobgesang der glücklichen Schäferin an den Morgenstern hören.

Im Dörfchen haben die jungen Landmädchen ihren Festschmuck angezogen. Die Prozession des Marienmonats beginnt: Die Glocke ruft die Schar der Gläubigen in die Kirche, der Winzer steigt vom Hügel herab, der Bauer eilt vom Acker herbei, der Holzhacker verlässt den Wald, die Mütter schließen ihre Hütten, um das Fest des Maimonats mitzufeiern. Bald sieht man die Geistlichkeit, die langen Reihen junger Mädchen erscheinen, der Zug setzt sich in Bewegung und es ertönt der Gesang: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ Das Banner der Heiligen, das Kreuz, die einzige Hoffnung unseres Heils eröffnet die Prozession. Dann kommt das Bild der unbefleckten Jungfrau Maria auf einem mit Laubwerk verzierten Thron sitzend und von vier jungen Mädchen getragen, ihr Ehrengeleit besteht aus ihren keuschesten Kindern. Die Dorfbewohner folgen hintereinander, man überschreitet das Weichbild des Dorfes und zieht längs den blühenden Weißdornhecken hin, in denen die Nachtigall ihr Liedchen trillert. Die Bäume sind mit Blüten bedeckt, oder mit jungem Grün geschmückt. Die Wälder, die Täler, die Bäche, die Felsen hören abwechselnd die Liebeshymnen an Maria und zum Schluss sendet der Mond sein mildes Licht vom Himmel herab auf dieses geliebte Fest, das der lieblichste Monat jedes Jahr uns wiederbringt.