Seid gehorsam– bitte!
Seid gehorsam– bitte!
Aus: Christ & Welt Ausgabe 32/2016
Papst Franziskus will die Piusbrüder zurück holen in den Schoß der Kirche. Kann das funktionieren? Ein Gespräch mit Guido Pozzo, dem zuständigen Erzbischof des Vatikans, über Einheit und die wahre Lehre
Geschichte einer Annäherung
Auf den ersten Blick sind sich Papst Franziskus und die Priesterbruderschaft St. Pius X. fremd. Die Piusbrüder stehen für einen traditionalistischen Katholizismus, sie feiern die tridentinische Messe und stehen einigen Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils wie der Ökumene oder der Religionsfreiheit ablehnend gegenüber. Jorge Bergoglio gilt hingegen als liberaler Reformer. Dass unter der Führung von Franziskus Bewegung in die Annäherung zwischen dem Vatikan und der in Folge des Konzils von Marcel Lefebvre (1905 bis 1991) gegründeten und 1988 wegen nicht autorisierter Bischofsweihen exkommunizierten Priesterbruderschaft gekommen ist, überraschte deshalb viele Beobachter. Schon Bergoglios Vorgänger Benedikt XVI. hatte sich um die Versöhnung mit den Piusbrüdern bemüht. Der Skandal um die Aussagen des Lefebvre-Bischofs Richard Williamson über den Holocaust sowie der Rücktritt Benedikts im Februar 2013 bremsten den Annäherungsprozess. Inzwischen scheint der Weg für eine kirchenrechtliche Anerkennung der Priesterbruderschaft St. Pius X. geebnet.JMM
Christ&Welt: Weshalb ist eine Wiedervereinigung mit der Piusbruderschaft für die katholische Kirche so wichtig?
Guido Pozzo: Die Kirche leidet unter jedem Mangel an Einheit. Die Priesterbruderschaft St. Pius X. besteht aus rund 600 Priestern, 200 Seminaristen und weiteren Angehörigen und ist in 70 Ländern präsent. Vor so einer großen Realität kann man nicht einfach die Augen verschließen.
C&W: Zuletzt gab es eine Beschleunigung der Beziehungen, warum?
Pozzo: Ich würde nicht von einer Beschleunigung sprechen, sondern von einem geduldigen Annäherungsprozess. Der Vatikan stellt kein Ultimatum mehr, stattdessen haben wir gemeinsam einige Schritte geplant, um zur vollen Aussöhnung zu gelangen. Seit die Etappen festgesetzt wurden, ist der Weg leichter zu beschreiten. Es geht immer noch darum, einige lehrmäßige sowie kirchenrechtliche Fragen zu klären. Ganz wichtig ist, das Klima des gegenseitigen Kennenlernens und des Verständnisses zu fördern. In dieser Hinsicht wurden große Fortschritte gemacht.
C&W: Was hat sich seit Beginn des Pontifikats in der Haltung des Vatikans verändert?
Pozzo: Es wurden neue Sichtweisen integriert. Von 2009 bis 2012 stand vor allem eine theologische Auseinandersetzung im Vordergrund. Es waren lehrmäßige Schwierigkeiten, die die kirchenrechtliche Anerkennung der Bruderschaft behinderten. Man weiß allerdings, dass das Leben mehr ist als Doktrin. Zur theologischen Diskussion ist in den vergangenen drei Jahren der Wunsch hinzugekommen, die Wirklichkeit der Bruderschaft ganz konkret kennenzulernen und zu verstehen.
C&W: Wie ist das gelungen?
Pozzo: Wenn man so will, fanden die Beratungen früher in einem Vorlesungssaal statt, jetzt in einer gemütlichen brüderlichen Atmosphäre, obwohl das Gespräch dasselbe ist. Im Auftrag des Vatikans besuchten ein Kardinal sowie vier Bischöfe die Seminare und Häuser der Priesterbruderschaft und machten sich ein authentisches Bild. So etwas gab es vorher nicht, aber das hat bei der Annäherung geholfen.
C&W: Die Bruderschaft hatte lange auch extremistische Mitglieder in ihren Reihen, etwa Bischof Richard Williamson, der den Holocaust leugnete. Behinderte das die Verhandlungen?
Pozzo: Monsignor Richard Williamson und andere extremistische und antirömische Elemente wurden aus der Bruderschaft ausgeschlossen oder haben sich von ihr getrennt. Das hat die Annäherung sehr begünstigt.
C&W: Welche Anweisungen hat Papst Franziskus Ihnen für die Verhandlungen gegeben?
Pozzo: Als mich der Papst im August 2013 erneut als Sekretär der Kommission Ecclesia Dei eingesetzt hat, hielt er mich dazu an, den Dialog mit Geduld, Entschiedenheit und ohne jegliche Eile wieder aufzunehmen. Er legte insbesondere Gewicht auf die Pflege der persönlichen Beziehungen, um ein Klima des Vertrauens zu schaffen.
C&W: Bergoglio kannte die Bruderschaft aus Argentinien. Wie ausschlaggebend ist dieser persönliche Kontakt für den Papst?
Pozzo: Das ist gewiss ein wichtiges Element. Als er noch Erzbischof in Buenos Aires war, hatte Papst Franziskus Kontakte zur Bruderschaft. Er sah, wie sehr sie sich in der Evangelisierung und in der karitativen Arbeit einsetzten. Die Bruderschaft legt nicht, wie oft behauptet wird, nur Wert auf eine traditionelle Liturgie, sondern hat auch Substanz.
C&W: Franziskus betont stets den pastoralen Aspekt. Ist dies auch der Schlüssel für die Verständigung mit den Piusbrüdern?
Pozzo: Pastoral und Dogmatik sind untrennbar miteinander verbunden. Der Stil und die ganz konkrete Hilfsbereitschaft von Papst Franziskus helfen, die Einheit zwischen den Personen nicht nur zu denken, sondern auch zu erfahren. Natürlich sind auch einige Gesten von Bedeutung. Er hat den Priestern der Bruderschaft erlaubt, den Gläubigen die Beichte abzunehmen, er hat den Generaloberen der Bruderschaft, Monsignor Bernard Fellay, in einer Privataudienz empfangen. Die Wiederannäherung ist aber ohne die Rücknahme der Exkommunikation durch Benedikt XVI. im Jahr 2009 und die Wiederaufnahme der Gespräche nicht zu denken.
C&W: Warum wird der Bruderschaft die Einrichtung einer sogenannten Personalprälatur in Aussicht gestellt?
Pozzo: Das scheint die geeignete kirchenrechtliche Form zu sein. Monsignor Fellay hat diesen Vorschlag akzeptiert, auch wenn in den kommenden Monaten noch Details zu klären sind. Nur das Opus Dei hat diese kirchenrechtliche Struktur, das ist ein großer Vertrauensbeweis für die Piusbruderschaft. Klar ist, dass die Lösung der kirchenrechtlichen Form die Lösung der lehrmäßigen Fragen voraussetzt.
C&W: Um welche lehrmäßigen Fragen geht es?
Pozzo: Wie Papst Benedikt XVI. im Interview-Buch »Licht der Welt« erklärt hat, zogen sich die Bischöfe der Piusbruderschaft die Exkommunikation deshalb zu, weil Monsignor Marcel Lefebvre die Bischöfe 1988 ohne päpstliche Genehmigung geweiht hatte. Nachdem Monsignor Fellay 2009 im Namen der anderen Bischöfe den Primat anerkannte, wurde die Exkommunikation aufgehoben. Papst Benedikt XVI. hat ausdrücklich gesagt, dass die Exkommunikation nichts mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu tun hatte, sondern mit einem Verstoß gegen den Primat.
C&W: Warum ist die Bruderschaft immer noch in einer kirchenrechtlich irregulären Situation?
Pozzo: Die Aufhebung der Exkommunikation ist nicht mit einer kanonischen Anerkennung gleichzusetzen. Diese kann erst mit der Lösung lehrmäßiger Probleme erfolgen. Solange das nicht geschehen ist, können die Priester der Bruderschaft ihr Amt nicht legitim ausüben.
C&W: Was fehlt also noch?
Pozzo: Kern der Diskussionen ist die Frage, bis zu welchem Grad einige Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils in Kontinuität mit dem ständigen Lehramt der Kirche sind. Wir stimmen mit der Bruderschaft in dem Prinzip völlig überein, dass das Konzil zutreffend nur im Zusammenhang mit der gesamten Tradition und dem ständigen Lehramt verstanden werden kann. Das Konzil ist kein pastorales Superdogma, sondern Teil der Gesamtheit der Tradition und des ständigen Lehramts.
C&W: Was bedeutet das?
Pozzo: Das bedeutet, dass die kirchliche Tradition sich zwar weiterentwickelt, aber niemals im Sinne einer Neuerung, die einen Kontrast zum Bisherigen darstellt, sondern als tieferes Verständnis des Depositum fidei, des authentischen Glaubensguts. In diesem Sinn müssen alle kirchlichen Dokumente verstanden werden, auch diejenigen des Konzils. Diese Voraussetzungen zusammen mit der Verpflichtung zum Glaubensbekenntnis, der Anerkennung der Sakramente und des päpstlichen Primats sind die Basis für die lehrmäßige Erklärung, die der Bruderschaft zur Unterschrift unterbreitet wird. Das sind die Voraussetzungen für einen Katholiken, um in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche zu sein.
C&W: Von der Piusbruderschaft wird nicht mehr erwartet, dass sie sämtliche Konzilserklärungen, also auch die Texte zur Ökumene oder zum interreligiösen Dialog anerkennt?
Pozzo: Die Bruderschaft bekennt sich zu den definierten Glaubenslehren und zu den katholischen Wahrheiten, die in den Konzilsdokumenten bekräftigt wurden. Diese müssen jedoch nach dem Grad der erforderlichen Zustimmung angenommen werden. Lehren der katholischen Kirche, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgelegt wurden und von den Gläubigen mit Entschiedenheit innerlich angenommen werden müssen, sind zum Beispiel die Lehre über die Sakramentalität des Bischofsamtes als Fülle des Weihesakramentes oder die Lehre über den Primat des Papstes und des Bischofskollegiums zusammen mit seinem Haupt, wie sie von der dogmatischen Konstitution Lumen gentium dargelegt und von der durch die höchste Autorität gewollte Nota explicativa praevia interpretiert wurde.
Die Bruderschaft tut sich schwer mit einigen Aspekten des Dekrets Nostra aetate über den interreligiösen Dialog, des Dekrets Unitatis redintegratio über den Ökumenismus und der Erklärung Dignitatis humanae über die Religionsfreiheit oder mit Fragen im Hinblick auf das Verhältnis des Christentums zur Moderne. Dabei handelt es sich aber nicht um Glaubenslehren oder definitive Aussagen, sondern um Anweisungen oder Orientierungshilfen für die pastorale Praxis. Über diese pastoralen Aspekte kann auch nach der kanonischen Anerkennung weiterdiskutiert werden, um sie einer Klärung zuzuführen.
C&W: Der Vatikan hat also die Messlatte tiefer gelegt?
Pozzo: Nein. Wir haben in den vergangenen Jahren geklärt, welche Fragen essenziell sind und welche Themen man auch später diskutieren kann. Früher wurde versucht, in allen Fragen sofort Konsens zu erzielen, leider ohne Erfolg. Jetzt haben wir uns gefragt: Was sind die wirklich essenziellen Voraussetzungen, um katholisch zu sein? In Absprache mit dem Papst sind diese bereits genannten Anforderungen in der lehrmäßigen Erklärung festgehalten, die der Bruderschaft vorgelegt wird.
C&W: Wie ist man im Vatikan auf die Idee gekommen, dass die Konzils-Dokumente unterschiedliches dogmatisches Gewicht haben sollen?
Pozzo: Das ist ganz gewiss keine Schlussfolgerung unsererseits, sondern war schon zur Zeit des Konzils eindeutig. Der Generalsekretär des Konzils, Kardinal Pericle Felici, erklärte am 16.November 1964: »Diese heilige Synode definiert als für die Kirche verbindlich nur das, was sie im Hinblick auf Glauben und Moral ausdrücklich als solches erklärt.« Nur explizit von den Konzilsvätern als verbindlich eingestufte Texte sind auch als solche anzunehmen. Das hat sich nicht »der Vatikan« ausgedacht, sondern steht in den Akten.
C&W: Was entgegnen Sie auf die Kritik, Wert und Verbindlichkeit einer bedeutenden Konzilserklärung wie Nostra aetate würden so geleugnet?
Pozzo: Der Sekretär für die Einheit der Christen sagte am 18. November 1964 in der Konzilsaula über Nostra aetate: »Was den Charakter der Erklärung angeht, will das Sekretariat keinerlei dogmatische Erklärung über nicht-christliche Religionen verfassen, sondern praktische und pastorale Normen.« Nostra aetate hat keine dogmatische Verbindlichkeit, also kann man auch von niemandem verlangen, diese Erklärung als dogmatisch verbindlich anzuerkennen. Die Erklärung ist vollständig nur im Licht der Tradition und des ständigen Lehramts zu verstehen. Beispielsweise steht die heutzutage leider weit verbreitete Ansicht dem katholischen Glauben entgegen, dass es einen von Christus und seiner Kirche unabhängigen Heilsweg gäbe. Das hat die Glaubenskongregation zuletzt in der Erklärung Dominus Iesus festgehalten. Jede Interpretation von Nostra Aetate in dieser Richtung ist völlig unbegründet und muss zurückgewiesen werden.
C&W: Viele werden die Zugeständnisse des Vatikans im Hinblick auf die Vorbehalte der Piusbrüder dennoch als Kapitulation bewerten?...
Pozzo: Über Ökumene, interreligiösen Dialog, das Verhältnis von Staat und Kirche, die Religionsfreiheit zu diskutieren, bedeutet nicht, den Wert der entsprechenden Dokumente zu leugnen. Sehr interessant ist, was Monsignor Fellay in einem Gespräch sagte: »Es gibt in diesem Konzil zweideutige Punkte, und nicht wir müssen sie klären. Wir können das Problem darlegen, aber die Autorität, sie zu klären, diese Autorität liegt nun einmal in Rom.« Es geht darum, die Hermeneutik der Dokumente vor dem maßgeblichen Hintergrund der fortwährenden Tradition zu diskutieren. Die Tradition ist gewiss kein lebloses Fossil, aber bedeutet sicher auch keine Anpassung an irgendeine Kultur der Gegenwart.
C&W: Wer garantiert, dass die strittigen Fragen nach der kirchenrechtlichen Anerkennung nicht einfach beiseitegeschoben werden?
Pozzo: Die Bruderschaft hat sich zur Diskussion verpflichtet. Die Fortführung der Diskussion muss auch niemandem Angst machen und kann nur bereichernd für die gesamte Kirche sein. Bei meinen Gesprächen mit Vertretern der Bruderschaft bin ich in dieser Hinsicht auf viele offene Ohren gestoßen, auch wenn es gleichzeitig rigidere und skeptischere Positionen gibt.
C&W: Die Verhandlungen mit den Piusbrüdern sind ein Ringen um das korrekte Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils. Warum gibt es in der katholischen Kirche auch 50 Jahre später noch keine Einigkeit?
Pozzo: Oft ist vom sogenannten Geist des Konzils die Rede. Dieser hat bis heute die eigentliche Lehre des Konzils überdeckt, er hat Verwirrung und Unsicherheit in der Kirche verursacht. Die zahlreichen Stellungnahmen der Glaubenskongregation in den vergangenen 40 Jahren zeigen, wie wichtig es ist, die Bedeutung des Konzils und seine authentischen Lehrabsichten klarzustellen, um Missverständnisse und verbreitete theologische Fehler zu vermeiden. Benedikt XVI. sagte einmal im Hinblick auf die unterschiedlichen Interpretationen, dass es auch nach dem Konzil von Nicea lange keine Versöhnung oder Einheit gab, »sondern eine wirklich chaotische Situation, in der jeder gegen jeden gestritten hat«. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch heute gestritten wird.
C&W: Aus dem Vatikan gibt es Kritik an der unklaren dogmatischen Linie in diesem Pontifikat. Gleichzeitig steht die Anerkennung einer traditionalistischen Bruderschaft kurz bevor. Ist das nicht ein Widerspruch?
Pozzo: Auch heute gibt es ideologische Gruppen aller Couleur, die die Äußerungen des Papstes instrumentalisieren. Oft verformen oder verkürzen die Medien gezielt die Botschaften der Kirche. Im Zusammenhang mit der Bruderschaft ist die Rede davon, Streitpunkt sei die Anerkennung des Konzils. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass eine sogenannte vorkonziliare oder nachkonziliare Kirche nie existiert hat. Das sind durch den Zeitgeist erfolgte Verformungen, die mit der kirchlichen Tradition nichts zu tun haben.
In einem so schwierigen Moment der Verwirrung und Orientierungslosigkeit wie heute ist es die Aufgabe derjenigen, die der Tradition der Kirche treu bleiben wollen, das Wiedererstarken des christlichen Glaubens und der Mission zu fördern. Ich hoffe, dass auch die Priesterbruderschaft St. Pius X., wenn sie ganz in der Kirche integriert ist, ihren Beitrag zu diesem missionarischen Apostolat und zur Stärkung des katholischen Glaubens in unserer Gesellschaft und in unserer Welt leisten kann.
Der italienische Erzbischof Guido Pozzo (64) ist Sekretär der für den Dialog mit der Piusbruderschaft zuständigen Vatikan-Kommission Ecclesia Dei, die in der Glaubenskongregation angesiedelt ist.
www.christundwelt.de/…/seid-gehorsam-b…
Aus: Christ & Welt Ausgabe 32/2016
Papst Franziskus will die Piusbrüder zurück holen in den Schoß der Kirche. Kann das funktionieren? Ein Gespräch mit Guido Pozzo, dem zuständigen Erzbischof des Vatikans, über Einheit und die wahre Lehre
Geschichte einer Annäherung
Auf den ersten Blick sind sich Papst Franziskus und die Priesterbruderschaft St. Pius X. fremd. Die Piusbrüder stehen für einen traditionalistischen Katholizismus, sie feiern die tridentinische Messe und stehen einigen Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils wie der Ökumene oder der Religionsfreiheit ablehnend gegenüber. Jorge Bergoglio gilt hingegen als liberaler Reformer. Dass unter der Führung von Franziskus Bewegung in die Annäherung zwischen dem Vatikan und der in Folge des Konzils von Marcel Lefebvre (1905 bis 1991) gegründeten und 1988 wegen nicht autorisierter Bischofsweihen exkommunizierten Priesterbruderschaft gekommen ist, überraschte deshalb viele Beobachter. Schon Bergoglios Vorgänger Benedikt XVI. hatte sich um die Versöhnung mit den Piusbrüdern bemüht. Der Skandal um die Aussagen des Lefebvre-Bischofs Richard Williamson über den Holocaust sowie der Rücktritt Benedikts im Februar 2013 bremsten den Annäherungsprozess. Inzwischen scheint der Weg für eine kirchenrechtliche Anerkennung der Priesterbruderschaft St. Pius X. geebnet.JMM
Christ&Welt: Weshalb ist eine Wiedervereinigung mit der Piusbruderschaft für die katholische Kirche so wichtig?
Guido Pozzo: Die Kirche leidet unter jedem Mangel an Einheit. Die Priesterbruderschaft St. Pius X. besteht aus rund 600 Priestern, 200 Seminaristen und weiteren Angehörigen und ist in 70 Ländern präsent. Vor so einer großen Realität kann man nicht einfach die Augen verschließen.
C&W: Zuletzt gab es eine Beschleunigung der Beziehungen, warum?
Pozzo: Ich würde nicht von einer Beschleunigung sprechen, sondern von einem geduldigen Annäherungsprozess. Der Vatikan stellt kein Ultimatum mehr, stattdessen haben wir gemeinsam einige Schritte geplant, um zur vollen Aussöhnung zu gelangen. Seit die Etappen festgesetzt wurden, ist der Weg leichter zu beschreiten. Es geht immer noch darum, einige lehrmäßige sowie kirchenrechtliche Fragen zu klären. Ganz wichtig ist, das Klima des gegenseitigen Kennenlernens und des Verständnisses zu fördern. In dieser Hinsicht wurden große Fortschritte gemacht.
C&W: Was hat sich seit Beginn des Pontifikats in der Haltung des Vatikans verändert?
Pozzo: Es wurden neue Sichtweisen integriert. Von 2009 bis 2012 stand vor allem eine theologische Auseinandersetzung im Vordergrund. Es waren lehrmäßige Schwierigkeiten, die die kirchenrechtliche Anerkennung der Bruderschaft behinderten. Man weiß allerdings, dass das Leben mehr ist als Doktrin. Zur theologischen Diskussion ist in den vergangenen drei Jahren der Wunsch hinzugekommen, die Wirklichkeit der Bruderschaft ganz konkret kennenzulernen und zu verstehen.
C&W: Wie ist das gelungen?
Pozzo: Wenn man so will, fanden die Beratungen früher in einem Vorlesungssaal statt, jetzt in einer gemütlichen brüderlichen Atmosphäre, obwohl das Gespräch dasselbe ist. Im Auftrag des Vatikans besuchten ein Kardinal sowie vier Bischöfe die Seminare und Häuser der Priesterbruderschaft und machten sich ein authentisches Bild. So etwas gab es vorher nicht, aber das hat bei der Annäherung geholfen.
C&W: Die Bruderschaft hatte lange auch extremistische Mitglieder in ihren Reihen, etwa Bischof Richard Williamson, der den Holocaust leugnete. Behinderte das die Verhandlungen?
Pozzo: Monsignor Richard Williamson und andere extremistische und antirömische Elemente wurden aus der Bruderschaft ausgeschlossen oder haben sich von ihr getrennt. Das hat die Annäherung sehr begünstigt.
C&W: Welche Anweisungen hat Papst Franziskus Ihnen für die Verhandlungen gegeben?
Pozzo: Als mich der Papst im August 2013 erneut als Sekretär der Kommission Ecclesia Dei eingesetzt hat, hielt er mich dazu an, den Dialog mit Geduld, Entschiedenheit und ohne jegliche Eile wieder aufzunehmen. Er legte insbesondere Gewicht auf die Pflege der persönlichen Beziehungen, um ein Klima des Vertrauens zu schaffen.
C&W: Bergoglio kannte die Bruderschaft aus Argentinien. Wie ausschlaggebend ist dieser persönliche Kontakt für den Papst?
Pozzo: Das ist gewiss ein wichtiges Element. Als er noch Erzbischof in Buenos Aires war, hatte Papst Franziskus Kontakte zur Bruderschaft. Er sah, wie sehr sie sich in der Evangelisierung und in der karitativen Arbeit einsetzten. Die Bruderschaft legt nicht, wie oft behauptet wird, nur Wert auf eine traditionelle Liturgie, sondern hat auch Substanz.
C&W: Franziskus betont stets den pastoralen Aspekt. Ist dies auch der Schlüssel für die Verständigung mit den Piusbrüdern?
Pozzo: Pastoral und Dogmatik sind untrennbar miteinander verbunden. Der Stil und die ganz konkrete Hilfsbereitschaft von Papst Franziskus helfen, die Einheit zwischen den Personen nicht nur zu denken, sondern auch zu erfahren. Natürlich sind auch einige Gesten von Bedeutung. Er hat den Priestern der Bruderschaft erlaubt, den Gläubigen die Beichte abzunehmen, er hat den Generaloberen der Bruderschaft, Monsignor Bernard Fellay, in einer Privataudienz empfangen. Die Wiederannäherung ist aber ohne die Rücknahme der Exkommunikation durch Benedikt XVI. im Jahr 2009 und die Wiederaufnahme der Gespräche nicht zu denken.
C&W: Warum wird der Bruderschaft die Einrichtung einer sogenannten Personalprälatur in Aussicht gestellt?
Pozzo: Das scheint die geeignete kirchenrechtliche Form zu sein. Monsignor Fellay hat diesen Vorschlag akzeptiert, auch wenn in den kommenden Monaten noch Details zu klären sind. Nur das Opus Dei hat diese kirchenrechtliche Struktur, das ist ein großer Vertrauensbeweis für die Piusbruderschaft. Klar ist, dass die Lösung der kirchenrechtlichen Form die Lösung der lehrmäßigen Fragen voraussetzt.
C&W: Um welche lehrmäßigen Fragen geht es?
Pozzo: Wie Papst Benedikt XVI. im Interview-Buch »Licht der Welt« erklärt hat, zogen sich die Bischöfe der Piusbruderschaft die Exkommunikation deshalb zu, weil Monsignor Marcel Lefebvre die Bischöfe 1988 ohne päpstliche Genehmigung geweiht hatte. Nachdem Monsignor Fellay 2009 im Namen der anderen Bischöfe den Primat anerkannte, wurde die Exkommunikation aufgehoben. Papst Benedikt XVI. hat ausdrücklich gesagt, dass die Exkommunikation nichts mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu tun hatte, sondern mit einem Verstoß gegen den Primat.
C&W: Warum ist die Bruderschaft immer noch in einer kirchenrechtlich irregulären Situation?
Pozzo: Die Aufhebung der Exkommunikation ist nicht mit einer kanonischen Anerkennung gleichzusetzen. Diese kann erst mit der Lösung lehrmäßiger Probleme erfolgen. Solange das nicht geschehen ist, können die Priester der Bruderschaft ihr Amt nicht legitim ausüben.
C&W: Was fehlt also noch?
Pozzo: Kern der Diskussionen ist die Frage, bis zu welchem Grad einige Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils in Kontinuität mit dem ständigen Lehramt der Kirche sind. Wir stimmen mit der Bruderschaft in dem Prinzip völlig überein, dass das Konzil zutreffend nur im Zusammenhang mit der gesamten Tradition und dem ständigen Lehramt verstanden werden kann. Das Konzil ist kein pastorales Superdogma, sondern Teil der Gesamtheit der Tradition und des ständigen Lehramts.
C&W: Was bedeutet das?
Pozzo: Das bedeutet, dass die kirchliche Tradition sich zwar weiterentwickelt, aber niemals im Sinne einer Neuerung, die einen Kontrast zum Bisherigen darstellt, sondern als tieferes Verständnis des Depositum fidei, des authentischen Glaubensguts. In diesem Sinn müssen alle kirchlichen Dokumente verstanden werden, auch diejenigen des Konzils. Diese Voraussetzungen zusammen mit der Verpflichtung zum Glaubensbekenntnis, der Anerkennung der Sakramente und des päpstlichen Primats sind die Basis für die lehrmäßige Erklärung, die der Bruderschaft zur Unterschrift unterbreitet wird. Das sind die Voraussetzungen für einen Katholiken, um in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche zu sein.
C&W: Von der Piusbruderschaft wird nicht mehr erwartet, dass sie sämtliche Konzilserklärungen, also auch die Texte zur Ökumene oder zum interreligiösen Dialog anerkennt?
Pozzo: Die Bruderschaft bekennt sich zu den definierten Glaubenslehren und zu den katholischen Wahrheiten, die in den Konzilsdokumenten bekräftigt wurden. Diese müssen jedoch nach dem Grad der erforderlichen Zustimmung angenommen werden. Lehren der katholischen Kirche, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgelegt wurden und von den Gläubigen mit Entschiedenheit innerlich angenommen werden müssen, sind zum Beispiel die Lehre über die Sakramentalität des Bischofsamtes als Fülle des Weihesakramentes oder die Lehre über den Primat des Papstes und des Bischofskollegiums zusammen mit seinem Haupt, wie sie von der dogmatischen Konstitution Lumen gentium dargelegt und von der durch die höchste Autorität gewollte Nota explicativa praevia interpretiert wurde.
Die Bruderschaft tut sich schwer mit einigen Aspekten des Dekrets Nostra aetate über den interreligiösen Dialog, des Dekrets Unitatis redintegratio über den Ökumenismus und der Erklärung Dignitatis humanae über die Religionsfreiheit oder mit Fragen im Hinblick auf das Verhältnis des Christentums zur Moderne. Dabei handelt es sich aber nicht um Glaubenslehren oder definitive Aussagen, sondern um Anweisungen oder Orientierungshilfen für die pastorale Praxis. Über diese pastoralen Aspekte kann auch nach der kanonischen Anerkennung weiterdiskutiert werden, um sie einer Klärung zuzuführen.
C&W: Der Vatikan hat also die Messlatte tiefer gelegt?
Pozzo: Nein. Wir haben in den vergangenen Jahren geklärt, welche Fragen essenziell sind und welche Themen man auch später diskutieren kann. Früher wurde versucht, in allen Fragen sofort Konsens zu erzielen, leider ohne Erfolg. Jetzt haben wir uns gefragt: Was sind die wirklich essenziellen Voraussetzungen, um katholisch zu sein? In Absprache mit dem Papst sind diese bereits genannten Anforderungen in der lehrmäßigen Erklärung festgehalten, die der Bruderschaft vorgelegt wird.
C&W: Wie ist man im Vatikan auf die Idee gekommen, dass die Konzils-Dokumente unterschiedliches dogmatisches Gewicht haben sollen?
Pozzo: Das ist ganz gewiss keine Schlussfolgerung unsererseits, sondern war schon zur Zeit des Konzils eindeutig. Der Generalsekretär des Konzils, Kardinal Pericle Felici, erklärte am 16.November 1964: »Diese heilige Synode definiert als für die Kirche verbindlich nur das, was sie im Hinblick auf Glauben und Moral ausdrücklich als solches erklärt.« Nur explizit von den Konzilsvätern als verbindlich eingestufte Texte sind auch als solche anzunehmen. Das hat sich nicht »der Vatikan« ausgedacht, sondern steht in den Akten.
C&W: Was entgegnen Sie auf die Kritik, Wert und Verbindlichkeit einer bedeutenden Konzilserklärung wie Nostra aetate würden so geleugnet?
Pozzo: Der Sekretär für die Einheit der Christen sagte am 18. November 1964 in der Konzilsaula über Nostra aetate: »Was den Charakter der Erklärung angeht, will das Sekretariat keinerlei dogmatische Erklärung über nicht-christliche Religionen verfassen, sondern praktische und pastorale Normen.« Nostra aetate hat keine dogmatische Verbindlichkeit, also kann man auch von niemandem verlangen, diese Erklärung als dogmatisch verbindlich anzuerkennen. Die Erklärung ist vollständig nur im Licht der Tradition und des ständigen Lehramts zu verstehen. Beispielsweise steht die heutzutage leider weit verbreitete Ansicht dem katholischen Glauben entgegen, dass es einen von Christus und seiner Kirche unabhängigen Heilsweg gäbe. Das hat die Glaubenskongregation zuletzt in der Erklärung Dominus Iesus festgehalten. Jede Interpretation von Nostra Aetate in dieser Richtung ist völlig unbegründet und muss zurückgewiesen werden.
C&W: Viele werden die Zugeständnisse des Vatikans im Hinblick auf die Vorbehalte der Piusbrüder dennoch als Kapitulation bewerten?...
Pozzo: Über Ökumene, interreligiösen Dialog, das Verhältnis von Staat und Kirche, die Religionsfreiheit zu diskutieren, bedeutet nicht, den Wert der entsprechenden Dokumente zu leugnen. Sehr interessant ist, was Monsignor Fellay in einem Gespräch sagte: »Es gibt in diesem Konzil zweideutige Punkte, und nicht wir müssen sie klären. Wir können das Problem darlegen, aber die Autorität, sie zu klären, diese Autorität liegt nun einmal in Rom.« Es geht darum, die Hermeneutik der Dokumente vor dem maßgeblichen Hintergrund der fortwährenden Tradition zu diskutieren. Die Tradition ist gewiss kein lebloses Fossil, aber bedeutet sicher auch keine Anpassung an irgendeine Kultur der Gegenwart.
C&W: Wer garantiert, dass die strittigen Fragen nach der kirchenrechtlichen Anerkennung nicht einfach beiseitegeschoben werden?
Pozzo: Die Bruderschaft hat sich zur Diskussion verpflichtet. Die Fortführung der Diskussion muss auch niemandem Angst machen und kann nur bereichernd für die gesamte Kirche sein. Bei meinen Gesprächen mit Vertretern der Bruderschaft bin ich in dieser Hinsicht auf viele offene Ohren gestoßen, auch wenn es gleichzeitig rigidere und skeptischere Positionen gibt.
C&W: Die Verhandlungen mit den Piusbrüdern sind ein Ringen um das korrekte Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils. Warum gibt es in der katholischen Kirche auch 50 Jahre später noch keine Einigkeit?
Pozzo: Oft ist vom sogenannten Geist des Konzils die Rede. Dieser hat bis heute die eigentliche Lehre des Konzils überdeckt, er hat Verwirrung und Unsicherheit in der Kirche verursacht. Die zahlreichen Stellungnahmen der Glaubenskongregation in den vergangenen 40 Jahren zeigen, wie wichtig es ist, die Bedeutung des Konzils und seine authentischen Lehrabsichten klarzustellen, um Missverständnisse und verbreitete theologische Fehler zu vermeiden. Benedikt XVI. sagte einmal im Hinblick auf die unterschiedlichen Interpretationen, dass es auch nach dem Konzil von Nicea lange keine Versöhnung oder Einheit gab, »sondern eine wirklich chaotische Situation, in der jeder gegen jeden gestritten hat«. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch heute gestritten wird.
C&W: Aus dem Vatikan gibt es Kritik an der unklaren dogmatischen Linie in diesem Pontifikat. Gleichzeitig steht die Anerkennung einer traditionalistischen Bruderschaft kurz bevor. Ist das nicht ein Widerspruch?
Pozzo: Auch heute gibt es ideologische Gruppen aller Couleur, die die Äußerungen des Papstes instrumentalisieren. Oft verformen oder verkürzen die Medien gezielt die Botschaften der Kirche. Im Zusammenhang mit der Bruderschaft ist die Rede davon, Streitpunkt sei die Anerkennung des Konzils. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass eine sogenannte vorkonziliare oder nachkonziliare Kirche nie existiert hat. Das sind durch den Zeitgeist erfolgte Verformungen, die mit der kirchlichen Tradition nichts zu tun haben.
In einem so schwierigen Moment der Verwirrung und Orientierungslosigkeit wie heute ist es die Aufgabe derjenigen, die der Tradition der Kirche treu bleiben wollen, das Wiedererstarken des christlichen Glaubens und der Mission zu fördern. Ich hoffe, dass auch die Priesterbruderschaft St. Pius X., wenn sie ganz in der Kirche integriert ist, ihren Beitrag zu diesem missionarischen Apostolat und zur Stärkung des katholischen Glaubens in unserer Gesellschaft und in unserer Welt leisten kann.
Der italienische Erzbischof Guido Pozzo (64) ist Sekretär der für den Dialog mit der Piusbruderschaft zuständigen Vatikan-Kommission Ecclesia Dei, die in der Glaubenskongregation angesiedelt ist.
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