Tina 13
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Die mütterliche Liebe Gottes

Johannes Cassianus (um 360-435)

Klostergründer in Marseille
Über die Hilfe Gottes, Kap. XIII, 14–15 (Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern VIII–XVII, in: Bibliothek der Kirchenväter; leicht angepasst)

Die mütterliche Liebe Gottes

Nun wollen wir mit der unvergleichlichen Güte unseres Schöpfers etwas Sterbliches vergleichen, nicht wie es nach der vollen Ehrfurcht sein müsste, sondern wie es die Ähnlichkeit in etwa erlaubt. Eine liebevolle und besorgte Mutter trägt ihren Kleinen lange in den Armen, bis sie ihn einmal gehen lehrt; dann lässt sie ihn zuerst kriechen, richtet ihn dann auf und hält ihn mit der Kraft ihrer Rechten, damit er in wechselndem Schritte sich mühe; bald lässt sie ihn ein wenig allein, ergreift ihn sogleich, wenn sie ihn wanken sieht, erfasst den Taumelnden, richtet den Gefallenen auf und hindert ihn entweder am neuen Fall oder lässt ihn auch leicht hinsinken und hebt ihn erst darnach auf. Wenn ihn aber die Erstarkung ins Knaben- oder Jünglingsalter geführt hat, so fügt sie einige Lasten oder Mühen hinzu, durch die er nicht erdrückt, sondern geübt werde, und lässt ihn mit Gegnern kämpfen. Wie viel mehr weiß nun jener himmlische Vater aller, wen er in den Armen seiner Gnade tragen, wen er vor seinen Augen durch die Entscheidung des freien Willens in der Tugend üben solle! Und so hilft er dem Mühevollen, erhört den Rufenden, verlässt nicht den Suchenden, reißt aus der Gefahr zuweilen auch den, der nicht darum weiß. Hierin zeigt sich auch deutlich, wie unerforschlich die Ratschlüsse Gottes sind und wie unergründlich seine Wege, durch die er das menschliche Geschlecht zum Heile zieht.