Iacobus
933

Gnadenlos dank Buddha

Wie Chefs durch Meditation unerbittlich werden

Immer mehr Topmanager meditieren, um ihre geistige Leistungskraft zu stärken. Für die Mitarbeiter ist das keine gute Nachricht. Denn viele Bosse machen sich damit vor allem eines: noch härter.

Wenn es hart auf hart kommt, wird Ray Dalio zum Ninja-Kämpfer. Seine Angreifer sieht er dann wie in Zeitlupe. Gefühle schaltet er aus. In solchen Momenten, berichtet der Milliardär, spüre er eine wunderbare Ruhe, seinen klaren Geist. Er ist ganz Herr der Lage – "mit der Kraft eines Ninjas".

Solche Krieger sind allerdings auch gnadenlos. Das wissen Dalios Mitarbeiter nur zu gut. Der 66-Jährige ist Gründer und Chef von Bridgewater, dem größten Hedgefonds der Welt. Rund 1500 Angestellte hat Dalio – und keine Geduld mit denen, die er für Minderleister hält.

"Leute zu feuern ist für mich keine große Sache", sagt er. Der Chef lässt jedes Gespräch in der Firma aufzeichnen, um "schleimige Betrüger" unter seinen Leuten auszumachen, die Kritik nicht offen äußern.

Kraft für diese Härte schöpft Dalio in der Stille. Er übt sich seit Jahrzehnten in Transzendentaler Meditation (TM). Diese Praxis sei gar der wichtigste Baustein für seinen Erfolg im Leben, bekennt er in dem gerade erschienenen Buch "Super Mind" eines New Yorker Psychiaters.

Meditation habe ihm die geistige Mitte gezeigt und unglaubliche Kreativität freigesetzt. Letztlich sei all sein Erfolg nur eine Frage der inneren Haltung.

Auch aus dem Geist wollen sie das Maximum rausholen

Immer mehr Manager nehmen ihr mentales Kraftzentrum in den Fokus. Körperlich fit – ob durch Joggen, Schwimmen oder Bergsteigen – halten sich die meisten sowieso. Mit dickem Bauch und Bluthochdruck ist ein Pensum aus Weltreisen, nächtlichen Verhandlungsrunden und dauernder Erreichbarkeit kaum zu schaffen.

Längst aber hat der Zwang zur Selbstoptimierung auch die Köpfe erfasst. Auch die Manager reiten auf der Welle der Achtsamkeit. Es geht nicht darum, weich zu werden. Sondern hart zu bleiben.

Vom Ayurveda-Retreat auf Mallorca bis zur Meditation mit dem Privatguru: Um die eigene Leistungskraft zu beflügeln, ist den Chefs keine Therapie zu verwegen. Vom Morgengruß mit Katzenbuckel bis zum abendlichen Einschlafmantra – jede Sekunde wird genutzt, um auch aus Geist und Seele das Maximum herauszuholen.

Ein Leben im Leistungsmodus. Das allerdings kann gravierende Nebenwirkungen haben – für jeden einzelnen Manager, aber auch für seine Mitarbeiter.

Das Geschäft mit der Achtsamkeit ist in Deutschland längst ein Millionenmarkt. Bücher mit Titeln wie "Gelassen wie ein Buddha" oder "Den Alltag entschleunigen. Das Leben entdecken" schaffen es auf die Bestsellerlisten.

Es gibt Achtsamkeits-Apps, die Manager und andere Menschen auf ihren Smartphones mehrmals täglich zum Innehalten anleiten. CD-Produzenten wetteifern um die beste Entspannungsmusik.

Selbst der Erfolgsmönch und Verwalter der Abtei Münsterschwarzach, Anselm Grün, schwenkt auf das Thema ein: Nach zig massentauglichen Titeln wie "Einfach Leben" oder "Jeder Tag ein Weg zum Glück" veröffentlichte der Benediktiner-Pater, der sich selbst und sein Kloster stets optimal vermarktet, zu Jahresbeginn 2016 die "Rituale der Achtsamkeit".

Unter den großen Managern richten viele den Blick nach innen

Norbert Reithofer begann zu meditieren, als die Welt um ihn herum zusammenbrach. "Rundum kracht es, und man steht an der Spitze eines Unternehmens und muss es da durchmanövrieren", erinnert sich der einstige BMW-Chef an die Weltfinanzkrise 2008/09.
Zum Ausgleich richtete er den Blick nach innen. Auch Klaus Kleinfeld tut das regelmäßig. Der einstige Siemens-Chef und heutige CEO des US-Aluminiumriesen Alcoa hat in New York einen Privatlehrer in Transzendentaler Meditation.

Bei geschlossenen Augen, aufrechtem Sitz und dem immer gleichen in Gedanken wiederholten Mantra bewältigt er die Härten des Alltags. Das Aus für die größte Aluminiumschmelzhütte der USA etwa, das er im Januar verkündete und das bisher über 300 Menschen den Job kostete.

RWE-Chef Peter Terium ist ebenfalls ein Fan des Meditierens, und der Gründer und Chef der Modemarke Diesel, Renzo Rosso, betreibt regelmäßig Yoga.

Eine Gefahr für sich und andere

Meditation und Achtsamkeit kann Menschen zu mehr Empathie verhelfen, muss es aber nicht. Je nach Anwendung kann es den Einzelnen stählen und härter machen. Matthias Weniger, Chef des Instituts für Stressmedizin am Bergmannsheil-Klinikum in Gelsenkirchen, kennt die Ruhelosen und Getriebenen.

Sie sitzen reihenweise in den Meditations- und Achtsamkeitskursen, die der Arzt, Psychotherapeut und Trainer für Führungskräfte in großen Konzernen anbietet. Immer häufiger hört er den Wunsch, "doch schnell mal ein paar Meditationstechniken" zu lernen, um in der Karriere wieder voll durchstarten zu können. Und immer häufiger begegnen ihm Coaches, die genau das bieten. "Ein Armutszeugnis für die Zunft", wie Weniger findet.
Als junger Arzt hat Weniger Station am Krankenhaus des Dalai Lama im indischen Dharamsala gemacht. "Achtsamkeit fördert den klaren Geist, hilft, sich selbst zu fokussieren", sagt Weniger. "Sie soll aber auch das Mitgefühl mit anderen schulen."
Dieser spirituelle Aspekt, zu dem Empathie und Nächstenliebe gehören, dürfe nicht vernachlässigt werden. "Wer Meditation allein nutzen will, um die eigene Leistung zu steigern, gefährdet sich und andere."

Sich selbst setzt er unter zusätzlichen Leistungsdruck – noch besser meditieren, noch gelassener werden, und zwar auf der Stelle. Anderen begegnet er im schlimmsten Fall als Mensch, der seine Emotionen ausblendet.

Weniger hat für solch seelenlose Getriebene ein drastisches Beispiel: Kamikaze-Flieger aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch die praktizierten Meditation, bevor sie sich in den Tod stürzten.

Lars Windhorst kennt die Todesangst des Absturzes. Helmut Kohls viel gepriesener Wunderknabe legte einst eine spektakuläre Pleite hin. Aber viel schlimmer als das: Er überlebte im Jahr 2007 nur knapp einen Flugzeugabsturz.

Seitdem hat er den unbändigen Wunsch, es allen zu zeigen. "Als Investor möchte ich mich mit den Besten messen und natürlich unter ihnen bestehen", sagt der entschlossene junge Mann mit dem scharfen, funkelnden Blick.

Seine Investmentgruppe Sapinda fordert den Chef fast rund um die Uhr. Der hat seinen Schlaf auf ein Minimum reduziert und bringt sich frühmorgens mit joggen und Yoga in Schwung. Es geht Windhorst darum, die Müdigkeit aus dem Kopf zu vertreiben und dadurch die eigene Leistung zu steigern.

Das Mitgefühl mit dem Gegenüber, Mitleid gar, stellt er in persönlichen Gesprächen nicht in den Vordergrund.

Mehr Geld, mehr Karriere oder mehr Gesundheit

Zu viel Selbstoptimierung ist Tania Singer nicht geheuer. Meditation dürfe nicht zum Lifestyle-Produkt für westliche Manager verkommen, mahnt die Neurowissenschaftlerin und Direktorin am Max-Planck-Institut in Leipzig.

Denn dabei gehe die Ethik verloren, aus der diese Praktiken eigentlich entstanden seien. Singer und ihre Kollegen haben in unterschiedlichen Studien gezeigt: Mitgefühl lässt sich trainieren. Schon einwöchige Achtsamkeitsseminare vergrößerten bei den Probanden die Tendenz zu prosozialem Helfen.

Umgekehrt gilt aber auch: Menschen, die in ihrem Beruf viel Leid erleben oder gar verursachen, können lernen, diese Gefühle abzublocken. Und manche von ihnen funktionieren die Meditation dann eben einfach um – vom Weich- zum Hartmacher.
Jens Corssen macht sich über seine Kunden keine Illusionen: "Kein CEO ruft mich an, weil er gerne achtsamer werden möchte", sagt der studierte Psychologe, der Unternehmer und Manager wie Linde-Chefaufseher Wolfgang Reitzle oder die Feinkostfamilie Käfer berät.

"Die Leute kommen zu mir, weil sie mehr wollen. Mehr Geld, mehr Karriere oder mehr Gesundheit. Oder sie kommen, weil sie weniger wollen. Weniger Stress oder Angst zum Beispiel."

Wenn der Coach von Weisheit und Mitgefühl redet

Corssen liefert handfeste Tipps – in Büchern ("Das Corssen-Prinzip"), in Einzelcoachings oder in Hallen mit 500 Zuhörern. "Dein Denken bestimmt dein Erleben", heißt eines seiner Mantras. Wer immerzu klage – über das Leben, über andere, über sich selbst –, der vergeude sein Potenzial.

Eine neue Art zu denken dagegen bringe Erfolg und ein freudvolles Leben. Noch nicht einmal Zeit für tägliches Meditieren müssen Corssens Kunden freischaufeln. Seine Übungen lassen sich leicht in den Alltag einbauen. Jeden Morgen auf der Bettkante zum Beispiel. Bewusstheit nennt Corssen das. Achtsamkeit klingt ihm zu esoterisch.

Den Krankenkassen nicht. Die sogenannte Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR) wird von gesetzlichen Krankenkassen als Präventionsmaßnahme anerkannt. Allein im vergangenen Jahr buchten fast 35.000 Versicherte entsprechende Kurse.

Als der amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn das Programm in den späten 70er-Jahren an der University of Massachusetts entwickelte, hatte er Exotenstatus. Heute stehen Manager aus aller Welt Schlange, um von ihm zu lernen.

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos strömen sie in Scharen in seine morgendliche "Mindfulness Meditation". Dort hören sie dann Sätze wie: "Nur ein Mensch, der in sich ruht, wird die richtigen Entscheidungen treffen können – denn nur ein solcher Mensch kann jene Energien abrufen, die Weisheit und Mitgefühl entstehen lassen."

Man kann auch den Dalai Lama so oder so interpretieren

Um Weisheit und Mitgefühl geht es Händlern an der Wall Street in der Regel weniger. Sie haben den schnellen Deal und ihren nächsten Bonus im Blick. Und auch ihnen scheint die innere Einkehr zu helfen.

Die Investmentbank Goldman Sachs jedenfalls bietet ihren Händlern kostenlose Kurse in Transzendentaler Meditation an. Die Wartelisten sind lang. Um die eigene Leistungsfähigkeit zu steigern, sind 20 Minuten am Tag offenbar gut investiert.

Auch bekannte Hedgefonds-Manager wie David Ford und der Milliardär Daniel Loeb singen ein Loblied auf die Meditation. 2014 stand Loeb auf einer Bühne in Washington und erläuterte den Zuhörern, einschließlich des freundlich lächelnden Dalai Lamas, warum jeder Mensch egoistisch ist.

Sich um sich selbst zu kümmern sei für den Menschen überlebenswichtig und nutze letztlich der Gemeinschaft. So kann man das auch sehen.

Mitgefühl als Triebkraft für die Geldanlage

Wenn es ihr Überleben im Job sichert, sind viele Menschen noch zu ganz anderen Schritten bereit, als nur 20 Minuten am Tag zu meditieren. Auch zu ungesunden. Einer Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit von Anfang 2015 zufolge schlucken rund drei Millionen Deutsche verschreibungspflichtige Pillen, um am Arbeitsplatz leistungsfähiger zu sein und Stress oder Ängste abzubauen.

Innerhalb von sechs Jahren ist der Anteil der Beschäftigten, die "Hirndoping" betreiben, von 4,7 auf 6,7 Prozent gestiegen. Die Dunkelziffer, fürchten die Experten, liege noch viel höher.

Für Charly Kleissner kommen Pillen nicht infrage. Der gebürtige Österreicher führte als Software-Ingenieur ein Team von 700 Entwicklern im Silicon Valley.

Er weiß, wie es ist, bis zu Erschöpfung zu arbeiten. Und er weiß, wie es ist, irgendwann die Bremse zu ziehen. Im Jahr 2002 stieg er aus, verkaufte seine Anteile an der Software-Firma Ariba. Plötzlich hatte er sehr viel Zeit und sehr viel Geld: über 100 Millionen Dollar.

Kleissner meditierte mit seinem Yogalehrer, suchte die Stille, die innere Kraft. Dann kam er zu einem wichtigen Schluss: "Das Geld, das da auf unserem Konto liegt, gehört uns gar nicht." Aber Kleissner war überzeugt: "Es muss einen Grund geben, warum es gerade bei uns gelandet ist. Wir sollen etwas damit anfangen."

Und er hatte auch vor Augen, was: Es hat mit Empathie zu tun, der – neben der inneren Stärkung – zweiten Säule der Achtsamkeit. Er und Frau Lisa haben das Mitgefühl zum Kern ihrer Geldanlage gemacht.

Sie gründeten die KL-Felicitas-Stiftung, die Sozialunternehmer rund um die Welt unterstützt. Und sie knüpften ein weltweites Netzwerk von Investoren, die den Erfolg ihrer Anlagen nicht nur in monetärer, sondern auch in sozialer und ökologischer Rendite messen.

Die Kleissners haben sich – inspiriert von fernöstlicher Philosophie – einiges vorgenommen: "Wir werden die Art, wie Kapitalismus funktioniert, von Grund auf verändern."

Auf die Unterstützung von Topmanagern, die ihre Durchsetzungskraft in täglicher Meditation stählen, um sich danach wie Ninja-Kämpfer zu fühlen, werden sie dabei allerdings nicht hoffen können.

Weiterlesen