Der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. war gültig!
„Ist Papst Franziskus gar kein gültiger Papst? [Das behaupten die falsche Prophetin „Maria Divine Mercy” („Buch der Wahrheit”), Don Minutella, John Leary, der falsche Papst Petrus III. der „Palmarianischen Kirche” u.a.]
Ist Benedikt XVI. der allein gültige Papst?
Oder haben wir zurzeit gar keinen Papst?
[Das behaupten die Sedisvakantisten.]
Unter vielen Gläubigen herrscht derzeit eine große Verwirrung. Wegen dieser Fragen gibt es auch viel Streit und Feindseligkeit, Unduldsamkeit und Unversöhnlichkeit, und sogar Ehen und Familien sind in Gefahr, deswegen zu zerbrechen.
Hier in diesem Beitrag wollen wir uns mit der Frage befassen, ob der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2013 gültig war.
Die folgenden Ausführungen stammen nicht von mir, sondern von hervorragenden Kennern der Materie.
1) Der offizielle Text der Rücktrittserklärung findet sich in: AAS 105 (2013) 239-240. [vgl. vatican.va/archive/aas/documents/2013/marzo2013.pdf]
Man kann ihn vergleichen mit dem mündlich gesprochenen Text: z.B.Original-Erklärung Benedikt XVI. zum Rücktritt (hier gibt es nur eine deutliche Abweichung: in Absatz 2 steht in Zeile zwei "exerceri debere" [ausüben müssen], obwohl Benedikt "exsequi debere" [ausführen müssen] gesagt hat; inhaltlich ändert sich dadurch nichts.)
Es finden sich in dem Text keine (überhaupt keine!) lateinischen Fehler (zur Frage des Stils vgl. Gero P. Weishaupt - Latein unter der Lupe ). Bei dem verlinkten Video auf YouTube ist ab 1:16min in der mündlichen Äußerung ein Fehler, weil Papst Benedikt vom "ministerio ... commissum" [Akkusativ] spricht, obwohl er "commisso" [Dativ] hätte sagen müssen. Im Video ist nicht zu sehen, wie Papst Benedikt das irgendwie als besonderen Hinweis hätte verstanden haben wollen. Auch inhaltlich ändert sich durch den falschen Kasus bei "commissum" nichts. Vom "ministerio Episcopi Romae" tritt Benedikt entschieden zurück, lediglich das Attribut, dass das Amt ihm am 19.4.2004 übertragen wurde ("mihi ... die 19 aprilis MMV commisso / -um"), ist im gesprochenen Wort nicht korrekt rückbezogen. Der Hauptsatz ist klar, im untergeordneten Attribut (zu übersetzen als relativer Nebensatz) besteht lediglich ein Kasusfehler, der nicht sonderlich auffällig ist, da das Bezugswort wirklich weit entfernt steht (14 oder mehr Wörter, je nach dem, wie man die Wörter bei der Datumsangabe zählen will). Da wir das Verb "verzichten auf" im Deutschen mit einem Akkusativ ("auf wen oder was verzichtet man?") verbinden, ist der lateinische Fehler noch weniger spektakulär.
2) Es existiert kein Gesetz, wonach ein Rücktritt ungültig wäre, wenn im Rücktrittstext ein sprachlicher Fehler enthalten ist. Für den Rücktritt eines Papstes gilt die Spezialnorm des c. 332 § 2 CIC/1983 ["Falls der Papst auf sein Amt verzichten sollte, ist zur Gültigkeit verlangt, dass der Verzicht frei geschieht und hinreichend kundgemacht, nicht jedoch, dass er von irgendwem angenommen wird."]. Allgemein gelten für einen Amtsverzicht die Vorschriften der cc. 187-189 CIC/1983, welche aber der Spezialnorm des c. 332 § 2 CIC/1983 nachgeordnet sind (das gilt auch für c. 125 § 2 CIC/1983: c. 332 § 2 ist hier noch strenger). Gemäß c. 124 § 1 CIC/1983 kann es für Rechtshandlungen weitere Gültigkeitserfordernisse geben (z.B. Rechtsförmlichkeiten und weitere Erfordernisse: "sollemnia et requisita iuris"). Das ist bezüglich eines Papstrücktritts aber nicht der Fall und nirgends vorgeschrieben (vgl. die lediglich genannten Bedingungen in c. 332 § 2). Es geht nur darum, den Verzicht, der frei erfolgen muss, hinreichend kundzutun. Es geht nicht um sprachliche Brillanz oder Ähnliches, sondern nur um die Mitteilung / Erklärung des Verzichts, was im obigen Fall recht klar geschehen ist. In Entsprechung zu c. 189 § 1 CIC/1983 erfolgte die Mitteilung an die Autorität, die für die Übertragung des betreffenden Amtes zuständig war: das in einem Konsistorium versammelte Kardinalskollegium [freilich wäre der Papst als oberster Gesetzgeber nicht einmal daran gebunden gewesen - vgl. dazu: Georg Bier, c. 332, in: Münsterischer Kommentar zum CIC (Stand: Januar 2008), Randnummer 10.].
3) Bisweilen wird behauptet, dass es ein Kirchenrecht gibt, das besagt: Wenn Fehler im Rücktrittsschreiben sind, dann ist der Rücktritt ungültig. Existiert denn tatsächlich so ein Gesetz?" -> So ein Gesetz gibt es nicht. Die einschlägigen gültigen Rechtsnormen wurden oben zitiert. Vielleicht liegt dem Gedanken aber Folgendes zugrunde: Es gab bereits im Dekretalenrecht, das bis 1917 (bis zum CIC/1917) in Geltung war (jetzt nicht mehr), Bestimmungen über die Glaubwürdigkeit von Schriftstücken (sog. "instrumenta" - im heutigen Recht vgl. dazu: cc. 1540-1546 CIC/1983; ehemals auch: cc. 1812-1824 CIC/1917). In einem Gerichtsprozess, aber auch so in der Rechtsanwendung musste man wissen, wann man ein Schriftstück als authentisch und echt betrachten darf und wann nicht (Tele-Kommunikation fand bis ins 19. Jahrhundert ja auf schriftlichem Weg statt, doch musste man hier versuchen, Fälschungsversuchen zu entgehen, z.B. durch verschiedene Authentifizierungsmethoden). Aus dem Dekretalen Gregors IX. (1234) sind dafür folgende Normen einschlägig: Liber Extra, Buch II, Titel 22 ("De fide instrumentorum": bibliotheca Augustana). In Cap. 11 von Titel 22 heißt es übrigens: "Defectus literae non vitiat rescriptum" (=Ein Schreibfehler verungültigt nicht das Reskript [=besonderes Rechtsdokument]).
Ein Rechtsdokument wird durch einen Sprachfehler nicht ungültig, sondern maximal in seiner Authentizität fragwürdig (vgl. dazu: c. 1543 CIC/1983!). Wir haben es heute viel einfacher: Die Authentizität der päpstlichen Dokumente ist durch das päpstliche Promulgationsorgan AAS (Acta Apostolicae Sedis) verbürgt. Im Falle der Rücktrittserklärung des Papstes bräuchte es nicht einmal ein Dokument, es genügt die hinreichende Kundmachung (vgl. c. 332 § 2), was bereits mündlich erfolgen kann. Gerade das hat Papst Benedikt gemacht. Das schriftliche Dokument hat lediglich dokumentierenden (und nicht rechtskonstitutiven) Charakter. Ob darin Fehler sind oder nicht, ist egal. Wie gesagt: Im schriftlichen Text sind sogar gar keine Fehler enthalten.
4) Einzig im Mündlichen haben wir den Grammatikfehler "ministerio ... commissum". Aus der Videoaufnahme kann man nicht ersehen / ableiten, dass Papst Benedikt damit irgendeine bewusste Andeutung machen wollte. Die versammelten Kardinäle wussten durch die in physischer Präsenz abgegebene mündliche Erklärung auf jeden Fall, dass diese wirklich von Benedikt selbst abgegeben wurde und keine Fälschung ist (auch wir können das durch das Video sehen). Der Amtsverzicht ist eindeutig mitgeteilt worden, nicht nur durch "declaro me ministerio Episcopi Romae ... renuntiare", sondern auch durch den klaren Kontext, den die ganze Ansprache bietet, und das nachfolgende konkludente Handeln (der Rückzug aus den Amtsgeschäften ab dem 28.2.2013, der im Einvernehmen mit der Rücktrittserklärung steht).
5) Für weiterführende Literatur vgl. folgende Auswahl:
Graulich, Markus. ""Declaro Me Ministerio Episcopi Romae Renutiare": Kanonistische Reflexionen Zum Amtsverzicht Papst Benedikts XVI." Archiv Für Katholisches Kirchenrecht, vol. 184, no. 2, 2015, pp. 479-488.
Brandmüller, Walter. "Renuntioatio Papae. Some Historical-Canonical Reflexions." The Jurist, vol. 76, no. 2, 2016, pp. 311-325.
Klappert, Sebastian. "Der Amtsverzicht Des Papstes: Kirchenrechtliche Anmerkungen Aus Anlass Des Amtsverzichts Papst Benedikts XVI." Archiv Für Katholisches Kirchenrecht, vol. 183, no. 1, 2014, pp. 57-75.
Boni, Geraldina. "Rinuncia Del Sommo Pontefice Al Munus Petrinum, Sedes Romana Vacans Aut Prorsus Impedita: Tra Ius Conditum E Ius Condendum." Ephemerides Iuris Canonici, vol. 56, no. 1, 2016, pp. 71-107.
Ganarin, Manuel. "Sulla Natura Recettizia Dell'atto Giuridico Di Rinuncia All'ufficio Ecclesiastico Con Particolare Riferimento Alla Renuntiatio Papae." Ephemerides Iuris Canonici, vol. 56, no. 1, 2016, pp. 109-151.
Gigliotti, Valerio. "Un Soglio Da Cui Non Si Scende...? Aspetti Della Renuntiatio Papae Nella Storia Giuridica Medievale." Ephemerides Iuris Canonici, vol. 56, no. 1, 2016, pp. 31-70.
Meyongo Nama, Engelbert. "Controverses Autour De Labdication Du Pape Celestin V. Un éclairage Sur La Renonciation Historique Du Pape Benoît XVI." Revue De Droit Canonique, vol. 64, no. 1, 2014, pp. 69-93.
Siehe auch das Interview des Corriere della Sera mit Benedikt XVI. (1. März 2021): Benedykt XVI o swojej rezygnacji: To była trudna decyzja, ale dobrze uczyniłem - Więź
Lassen wir uns nicht verwirren: Papst Benedikt XVI. ist im Jahr 2013 wirklich zurückgetreten!