Bedauerlicher Rückschritt. Von Erzbischof Héctor Aguer*

Als ich kürzlich an der Göttlichen Liturgie der syrisch-orthodoxen Kirche teilnahm, bemerkte ich eine gewisse Ähnlichkeit mit der lateinischen feierlichen Messe mit Diakon und Subdiakon, der ich oft beigewohnt habe, vor allem bei Beerdigungen, die in meiner Pfarrei oft mit besonderer Feierlichkeit zelebriert wurden.
Ich bestehe darauf: Ich habe immer mit der größtmöglichen Hingabe den in der Weltkirche geltenden Ritus gefeiert. Als Erzbischof von La Plata habe ich jeden Samstag im Priesterseminar "San José" das Eucharistische Hochgebet in lateinischer Sprache gesungen und dabei das kostbare, vom Heiligen Stuhl herausgegebene Messbuch benutzt. Wir hatten gemäß der Empfehlung des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Konstitution Sacrosanctum Concilium Nr. 114 eine Schola cantorum gebildet, die bei meiner Emeritierung aufgelöst wurde.

Latein war jahrhundertelang das Band der Einheit und Kommunikation in der Westkirche. Heute wird Latein nicht nur vernachlässigt, sondern auch gehasst. In den Priesterseminaren wird das Lateinstudium auf der Seite gelassen, eben weil es keinen Nutzen hat. Man merkt nicht, dass dies den direkten Zugang zu den Vätern der Westkirche verschließt, die für theologische Studien sehr wichtig sind: Ich denke zum Beispiel an den heiligen Augustinus und den heiligen Leo den Großen sowie an mittelalterliche Autoren wie den heiligen Anselm und den heiligen Bernhard. Diese Situation scheint mir ein Zeichen für kulturelle Armut und vorsätzliche Ahnungslosigkeit zu sein.
Ich habe diese Dinge über meine Anfänge im Priesteramt aufgeschrieben, um zu zeigen, dass ich in meinem priesterlichen Leben nie Nostalgie darüber gehegt habe, dass ich den früheren Ritus, den so viele Priester und viele Heilige jahrhundertelang zelebriert haben, nicht verwenden konnte. Doch meine theologischen Studien, meine zahlreichen Lektüren und mein ständiges Nachdenken über die kirchliche Liturgie erlauben es mir, zu urteilen und festzustellen, dass anstelle der Schaffung einer neuen Messe (Novus Ordo) die bisherige in einer diskreten Reform hätte aktualisiert werden können, welche die Kontinuität betont hätte.
In diesem Zusammenhang fällt mir eine vielsagende Anekdote ein. Der bedeutende Theologe Louis Bouyer berichtet, dass der Präsident des Consilium ad exsequendam Constitutionem de Sacra Liturgia, Bischof Annibale Bugnini (der häufig und weithin als Freimaurer bezeichnet wird), die Mitglieder dieser Kommission beauftragte, zu Übungszwecken Entwürfe für das eucharistische Gebet vorzulegen. Bouyer erzählt, dass er zusammen mit dem Benediktiner und Liturgiker Dom Botte in einer Trattoria in Trastevere einen Text verfasste, der zu seinem Erstaunen als Eucharistisches Hochgebet II in das neue Messbuch aufgenommen wurde. Dieser Text wird von den meisten Priestern gewählt, weil dessen Kürze das Gefühl vermittelt, die Messe um ein paar Sekunden verkürzt zu haben. Ich finde den Text sehr schön und bedaure nur, dass das Wort Sacrificium (“Opfer") darin nie vorkommt, sondern der Begriff des Gedenkens, allerdings nur indirekt, denn nach der Konsekration heißt es “memores” (“eingedenk"); die Gläubigen können das Gedenken nicht mit dem dargebrachten Opfer identifizieren.

Grundlage für dieses Eingreifen - so heißt es im Vorwort - war eine an die Bischöfe gerichtete Umfrage der Glaubenskongregation zur Umsetzung des Motu proprio Summorum Pontificum von Benedikt XVI. im Jahr 2020, deren Ergebnisse sorgfältig geprüft worden seien. Es wäre interessant zu wissen, welche Empfehlungen der Episkopat formuliert hat.
So wird im ersten Artikel die außerordentliche Form des Römischen Ritus abgeschafft. Die Absicht Benedikts XVI., den freien Gebrauch des Missale von 1962 festzuschreiben, bestand - so wie ich es verstehe - darin, jene für die Einheit der Kirche zu gewinnen bzw. in ihr zu halten, die sich, empört über die allgemeine liturgische Verwüstung, von ihr abgewandt hatten oder in Gefahr waren, sich von ihr abzuwenden, weil sie diese De-facto-Situation nicht akzeptieren wollten; eine Sorge um die kirchliche Gemeinschaft führte dazu, einen vernünftigen Weg für das liturgische Leben zu eröffnen. Jetzt liegt es an den Diözesanbischöfen, die Verwendung des bisherigen Messbuchs zu genehmigen. Es geht wieder von vorne los, und es ist zu befürchten, dass die Bischöfe bei der Erteilung von Genehmigungen knauserig sein werden. Viele Bischöfe sind nicht traditionis custodes, („Hüter der Tradition“) sondern traditionis ignari („unwissend“), obliviosi („ahnungslos“), und schlimmer noch traditionis evertores („Zerstörer“).

Die Einschränkung der Orte und Tage für die Zelebration nach dem Missale von 1962 (Art. 3 § 2 und § 3) sind ungerecht und unangebracht. Jeder Priester sollte die Möglichkeit haben, die außerordentliche Form des Römischen Ritus zu verwenden (dies bedeutet eine Abkehr vom Verbot), vor allem, wenn er allein zelebriert, und auch in der Öffentlichkeit, wo die Gläubigen ihn bereits willkommen heissen, wenn der Priester erklärt hat, dass er diesen Ritus verwenden würde, und dabei dessen ehrwürdiges Alter und religiösen Wert betont hat. Die Wachsamkeit des Bischofs würde ausreichen, um sicherzustellen, dass diese Möglichkeit nicht zum Nachteil des pastoralen Nutzens der Gläubigen ausgeübt wird.
Absatz 6 von Artikel 3 ist eine ungerechte und schmerzhafte Einschränkung, da er andere Gruppen von Gläubigen daran hindert, an der nach dem Messbuch von 1962 gefeierten Messe teilzunehmen. Es ist merkwürdig, dass offiziell eine "polyedrische" Struktur der Kirche propagiert wird, wobei das die Ausbreitung von Dissens und Irrtümern gegen die katholische Tradition fördert, während gleichzeitig eine liturgische Uniformität aufgezwungen wird, die anscheinend nur gegen die Tradition eingesetzt wird. Ich weiß, dass viele junge Menschen in unseren Pfarreien die Nase voll haben von den liturgischen Missbräuchen, welche die Hierarchie zulässt, ohne sie zu korrigieren. Diese jungen Menschen wollen eine Eucharistiefeier, die eine ernsthafte und tiefreligiöse Teilnahme garantiert. Dieses Bestreben hat nichts Ideologisches an sich. Ich finde es auch unangenehm, dass ein Priester, der bereits eine Erlaubnis hat und diese korrekt ausgeübt hat, diese erneut beantragen muss (Art. 5. I). Ist dies nicht ein Trick, um sie ihm zu entziehen? Ich habe den Eindruck, dass nicht wenige Bischöfe (z. B. neue Bischöfe) zögern, sie zu gewähren.
Alle Bestimmungen von Traditionis custodes wären durchaus akzeptabel, wenn der Heilige Stuhl sich um das kümmern würde, was ich die Verwüstung der Liturgie nenne, die in vielen Fällen stattfindet. Ich kann darüber sprechen, was in Argentinien passiert. Im Allgemeinen hat die Eucharistiefeier einen banalen Charakter, als ob es sich um ein Gespräch zwischen dem Priester und den Gläubigen handelte, bei dem Sympathiekundgebungen des Priesters unerlässlich sind; mancherorts wird sie zu einer Art Show, die vom "Entertainer", der der Zelebrant ist, geleitet wird, und die Kindermesse wird zu einem kleinen Fest wie eine Geburtstagsfeier.
Bei uns gab es ein Ereignis, von dem ich hoffe, dass es außergewöhnlich ist; mir ist nicht bekannt, dass in anderen Teilen der Welt etwas Ähnliches stattgefunden hätte.

In anderen bekannt gewordenen Fällen wird die Eucharistiefeier als Abschluss einer Versammlung durchgeführt; Papiere, Gläser und Getränke werden auf dem Tisch abgestellt; die Gläubigen reichen sich selbst die Kommunion. Generell kann man aus diesem geografischen Blickwinkel sagen, dass jeder Priester "seine" Messe hat; die Gläubigen können wählen: "Ich gehe zur Messe von Pfarrer NN". Diese Tatsachen werden von den Bischöfen nicht angegangen, die jedoch schnell gegen einen Priester zu Felde ziehen, der mit größter Frömmigkeit auf Lateinisch zelebriert: “Das" ist verboten.

Man kann nicht leugnen, dass die Feier der Eucharistie an Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Schönheit verloren hat. Die Stille ist in sehr vielen Fällen abhanden gekommen. Die sakrale (sakrale?) Musik verdient nach Kapitel VI von Sacrosanctum Concilium ein eigenes Kapitel. Ich bestehe darauf: Rom sollte sich mit diesen Missständen befassen und sich zu ihnen äußern.
Abschließend scheint mir ein Zusammenhang zwischen dem Tenor des Motu Proprios und der Rede zu bestehen, die Franziskus am 7. Juni vor der Priestergemeinschaft Saint Louis des Français in Rom gehalten hat. Ich erkenne in beiden Texten (ich kann mich natürlich irren) einen Mangel an Wohlwollen, trotz einiger Äußerlichkeiten. Zwar erlaubt ein Motu proprio seiner Natur nach keine pastoralen Überschwänglichkeiten; dennoch hätte es in seiner Knappheit als ein Zeichen der pastoralen Liebe präsentiert werden können. Der Vergleich scheint mir nicht willkürlich zu sein; in beiden Fällen wäre es wünschenswert, jene barmherzige Haltung zu bemerken, die beim derzeitigen Papst so gerühmt wird.
Es entsteht der Anschein, dass das Urteil der Kirche über den Verlauf des kirchlichen Lebens auf höchster Ebene mit zweierlei Maß misst: Toleranz, ja sogar Wertschätzung und Solidarisierung mit heterogenen Positionen im Verhältnis zur großen Tradition ("progressiv" genannt) und Distanz oder Abneigung gegenüber Personen oder Gruppen, die eine "traditionelle" Position pflegen. Ich erinnere mich an die brutale Aussage eines berühmten argentinischen Politikers: "Für Freunde alles, für den Feind nicht einmal Gerechtigkeit". Ich sage dies mit größtem Respekt und Liebe, aber auch mit großer Trauer.
+ Héctor Aguer
*Der Autor ist emeritierter Erzbischof von La Plata, Argentinien.